Verfolgt man in Funk und Fernsehen während des Sommers die unterschiedlichen Berichterstattungen von Gewitterereignissen, dann fällt einem auf, dass mal der Starkregen, mal der Hagel oder der Wind oder gar alles zusammen für entsprechende Schäden verantwortlich gemacht werden kann. Während der letzten Wochen war das große Thema der Starkregen mit den teils verheerenden Überschwemmungen, wobei die letzten Tage über auch zunehmend der Wind und Hagelschlag in den Fokus rückten. Doch wieso kommt es zu solch unterschiedlichen Begleiterscheinungen?
In der Vorhersage arbeiten wir mit der bereits häufig genannten und beschriebenen Zutatenmethode. Hier wird aufgrund zahlreicher Parameter (respektive Zutaten) die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten und die Intensität der Gewitter abgeschätzt und vorhergesagt. Die Zutaten umfassen die Luftfeuchte der unteren und mittleren Troposphäre, denn nur in feuchter Luft kommt es zur Kondensation (Wolkenbildung) und letztendlich zum Niederschlag. Außerdem muss die Temperatur mit der Höhe abnehmen, damit ein aufsteigendes Luftpaket so lange wie möglich wärmer als die Umgebungsluft bleibt und somit aufgrund der geringeren Dichte weiter aufsteigt. Sollte dann auch noch ein Hebungsmechanismus vorhanden sein (wie z.B. eine Kaltfront oder ein Gebirge, wo die Luft gezwungen wird aufzusteigen), dann ist die Bildung eines Gewitters möglich.
Nun aber kommt der Wind ins Spiel. Er hat eine große Bedeutung, wenn es darum geht, schwache Gewitter oder schwere Unwetter vorherzusagen. Der Parameter wird in der Meteorologie umgangssprachlich als "Windscherung" bezeichnet. Es ist sicherlich allgemein bekannt, dass der Wind mit der Höhe zunimmt. Das merkt man, wenn man z.B. auf einen exponierten Hügel oder Berg steigt. Hier sorgt die fehlende Bodenreibung (u.a. das Fehlen zahlreicher Hindernisse wie Bäume, Häuser etc.) dafür, dass der Wind bereits deutlich spürbarer weht. Würde man sich nun noch weiter von der Erdoberfläche entfernen, dann wäre das Resultat eine weitere Intensivierung des Windes. Eine Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe wird als sogenannte "Geschwindigkeitsscherung" bezeichnet. Es gibt auch eine Richtungsscherung, wo der Wind also auch seine Richtung wechselt, doch diese lassen wir heute einmal außen vor.
Wie in der Grafik zu erkennen, kommt es nun unausweichlich zur Interaktion zwischen einer wachsenden Gewitterwolke und dem mit der Höhe zunehmenden Wind. Dabei sorgt der Wind unter anderem dafür, dass der Niederschlag bei kräftiger Höhenströmung in Windrichtung verfrachtet wird. Durch das Verfrachten des Niederschlags wird der Aufwind, wo warme und feuchte Luft in das Gewitter gesogen wird, vom Abwind, wo durch den Regen gekühlte Luft ausströmt, getrennt. Je ausgeprägter und länger die Trennung von Auf- und Abwinden umgesetzt wird, desto länger kann ein Gewitter leben.
Bei sehr schwacher Windscherung ziehen die Gewitter also nicht nur langsam, nein, sie haben auch meist keine lange Lebensdauer und weisen einen pulsierenden Charakter auf. Kaum ist ein Gewitter entstanden, sorgt die herabstürzende Luft im Abwind dafür, dass die Zufuhr der feuchten und warmen Luft unterbunden wird und das Gewitter stirbt. Wir haben es hier mit einer Einzelzelle zu tun. Wenn nun der Wind mit der Höhe zunimmt und es allmählich zur Trennung von Auf- und Abwinden kommt, dann leben die Gewitter nicht nur länger, sondern sie können sich auch besser organisieren. Hagel, der in den Wolken gebildet wird, kann zum Beispiel länger anwachsen und entsprechend größeren Schaden am Boden anrichten.
Wenn Sie also im Sommer an einem Tag, wo Gewitter vorhergesagt werden, zum Himmel schauen und sich die Zuggeschwindigkeit der unzähligen noch kleinen Haufenwolken anschauen, dann können Sie bereits abschätzen, ob in der Höhe ein starker Wind weht oder nicht. Sind die Haufenwolken mit der Höhe in Windrichtung geneigt, dann zeigt Ihnen die Natur eindrucksvoll, dass eine hohe Windscherung vorhanden ist und entsprechend die nun folgenden Gewitter von der kräftigeren Sorte hinsichtlich Hagelschlag und Wind sein können. Ist keine Windscherung zu erkennen, dann rückt dank langsamer Zuggeschwindigkeit besonders der Starkregen in den Vordergrund. Dies war auch in der vergangenen Nacht zum Samstag der Fall: Biberach 67 l/qm in 1 Stunde, Wutöschingen-Ofteringen 57 l/qm in 1 Stunde oder Freudenstadt 52 l/qm in 1 Stunde (alle Stationen in Baden-Württemberg).
Wie so oft in der Meteorologie beschreibt das Gesagte die Komplexität der Gewittervorhersage nicht vollständig. Dennoch kann man sich ein bisschen besser auf das Bevorstehende einstellen und das in diesem Fall mit nur einem Blick in den sommerlichen Himmel.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.06.2016
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst