Während sich das Wetter in Deutschland nach dem teils sehr regnerischen Wochenende deutlich beruhigt hat, geht es in anderen Bereichen der Nordhemisphäre deutlich turbulenter zu. Mit Blick auf die diesjährige Hurrikansaison im Bereich des Nordatlantiks (1. Juni bis 30. November) kann nun ein erstes Fazit gezogen werden, denn sie ist seit dem vorletzten Wochenende bereits zur Hälfte vorbei. Andererseits befinden wir uns mitten in der Hochzeit tropischer Wirbelsturmaktivität.
Während man in der Weltpresse von Hurrikans vor Hawaii und von einem Supertaifun (in dem Fall die höchste Kategorie auf der fünfteiligen "Saffir-Simpson Hurricane Wind Scale") vor Taiwan lesen konnte, so vernahm man aus dem nordatlantischen Bereich bisher nur wenige Neuigkeiten - Gott sei Dank muss man aus Sicht der dort lebenden Bewohner sagen. Dass das eher glimpfliche Abschneiden der diesjährigen Saison nicht selbstverständlich ist, zeigt die Anzahl der aufgetretenen Tropenstürme. Bisher gab es verglichen zum klimatologischen Mittel von 1981 bis 2010 deutlich mehr benannte Tropenstürme (12) und auch bereits vier Hurrikans, wobei aber nur ein Hurrikan die Stufe "major", also die Kategorie 3 bis 5 auf der "Saffir-Simpson Hurricane Wind Scale" erreichte.
Die meisten der Tropenstürme zogen nämlich weit abseits von Landflächen über das offene Meer und waren noch dazu recht kurzlebig, abgesehen von Hurrikan GASTON, der bisher der langlebigste (13 Tage) und stärkste Hurrikan (1-min Mittelwinde von 195 km/h) der Saison war. Dennoch wurde auch in diesem Jahr bereits ein besonders schadensträchtiger Tropensturm verzeichnet, denn Hurrikan EARL sorgte in Belize (Zentralamerika) und in Mexiko für sintflutartige Regenfälle, wobei Dutzende Todesopfer zu beklagen waren. Und dann war da natürlich auch Hurrikan HERMINE, der Ende August und Anfang September auf Florida traf und Schäden in Milliardenhöhe durch Orkan und Sturzfluten verursachte. Doch beide Hurrikans wiesen nur die unterste Kategorie (1 von 5) auf - es hätte also noch deutlich schlimmer kommen können, wenn man das bei solch einem Ausmaß überhaupt noch sagen kann und darf.
Auch während der vergangenen Woche entwickelten sich weitere tropische Systeme, wobei eines besonders auffiel, da dieser Tropensturm mit Namen JULIA einige Überraschungen aufwies.
Normalerweise sind in der heutigen hochtechnisierten Zeit überraschende Entwicklungen im Bereich der Tropensturmvorhersage eher unwahrscheinlich. Hochleistungsrechner, die binnen weniger Stunden neue Modellrechnungen erzeugen und eine kontinuierliche Satellitenabdeckung der Land- und Meeresgebiete sorgen dafür, dass sich tropische Tiefdruckgebiete bezüglich ihres
Entwicklungspotentials sehr früh erkannt werden, sodass man sich bereits Tage vorher auf die damit zusammenhängenden Wettergefahren vorbereiten kann. Aber nicht so bei JULIA!
Zwar wurde dieser tropische Tiefdruckwirbel von den Vorhersagemeteorologen des National Hurricane Center (NHC) über Tage hinweg genau beobachtet und als er am 13. September allmählich aufs Festland (die Ostseite von Florida) ziehen sollte, erwartete man keine Intensivierung des Tiefdruckgebietes mehr. Eine Tropensturmentwicklung über Land ist historisch gesehen extrem selten, da normalerweise die sehr warmen Wassertemperaturen der tropischen Meere für die Entstehung und Entwicklung benötigt werden. Gespeist von einer feuchten und warmen Luftmasse über dem Meer entwickeln sich bei entsprechender Luftdruckkonstellation zunächst kräftige Gewitter, die vereinfacht ausgedrückt hauptsächlich durch Freisetzung latenter Wärme den Motor eines Tropensturms darstellen. Dies ist normalerweise über trockenen Landoberflächen nicht der Fall, doch der "Sunshine State Florida" ist als Halbinsel im Westen, Süden und Osten verbreitet vom sehr warmen Meerwasser umgeben. Auch unzählige Sumpflandschaften (zum Beispiel die "Everglades") sorgen über Land für eine reichhaltige Feuchtequelle.
Entgegen der Erwartungen wurden nun im Verlauf des 13. Septembers in Zentrumsnähe des Tiefdruckgebietes einminütige Mittelwinde um 63 km/h (Bft 8) gemessen (der Schwellenwert zur Namensvergabe eines Tropensturmes), obwohl sich das Zentrum bereits mehrere Meilen westlich von Jacksonville in Florida über Land befand (siehe Abbildung). JULIA war geboren.
JULIA wurden aber nie große Überlebenschancen eingeräumt, denn die atmosphärischen Bedingungen sollten in den folgenden Tagen für das Fortbestehen eines Tropensturms eher schlecht aussehen. Verloren in einem Bereich mit äußerst geringen Luftdruckgegensätzen sollte JULIA östlich von Florida "herumdümpeln" und sehr starken Winden in der mittleren und oberen Troposphäre sowie relativ trockener Luft ausgesetzt sein, alles Bedingungen, die Tropenstürme überhaupt nicht mögen und normalerweise für ein rasches Ableben sorgen. Doch JULIA war tapfer, regenerierte sich aufgrund der günstigen Lage im Höhendruckfeld mehrmals und überraschte die Forecaster mit ihrer Widerstandskraft und ihrem Lebenswillen. Wiederholt flammten zentrumsnah Gewitter auf, die JULIA immer wieder mit Energienachschub versorgten und mit dem starken Oberwind nach Osten abgeweht wurden (siehe rechtes Bild). Erst am Abend des 18. September verlor JULIA endgültig diesen Kampf und wurde offiziell als "absterbendes" Tiefdruckgebiet klassifiziert. Das Einzige, was von JULIA übrig blieb, war eine feuchte Luftmasse, die entlang der Nordostküste der USA noch für teils kräftige Regenfälle sorgte.
Die Wirbelsturmsaison geht nun in ihre zweite Runde und es bleibt abzuwarten, ob sie auch in den kommenden Wochen so aktiv bleibt. Zur Zeit sind Tropensturm KARL und LISA über dem offenen Atlantik unterwegs, wobei KARL den Bermudainseln als ein sich zum Hurrikan entwickelnder Tropensturm sehr nahe kommen könnte. Zu hoffen ist, dass sich die restlichen Stürme weiterhin als kurzlebig und festlandsscheu erweisen werden und somit die Saison 2016 als eine relativ glimpfliche in Erinnerung bleiben wird.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.09.2016
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