Blickt man vom Weltraum aus auf die Karibik - was ja in Zeiten von Wettersatelliten kein Problem mehr darstellt - fällt einem sofort das riesige verwirbelte, in sich brodelnde Wolkenmassiv über der Karibischen See auf. Bei genauem Hinsehen entdeckt man innerhalb der Wolkenmasse einen kleinen wolkenarmen Bereich. Dabei handelt es sich um das Zentrum, das "Auge" des zurzeit in der Karibik wütenden Hurrikans MATTHEW, den wir heute aus gegebenem Anlass zum Tagesthema machen möchten. MATTHEW ist nämlich ein ganz besonderer Wirbelsturm.
Doch eins hat er mit allen starken Wirbelstürmen gemein: Sie stellen eine Gefahr für Leib und Leben dar, vor allem wenn sie auf bewohntes Gebiet treffen und nicht als sog. "Fischsturm" einsam ihre Bahnen über dem Meer ziehen. MATTHEW befindet sich am heutigen Dienstagmorgen (4. Oktober) noch gut 100 Kilometer südlich von Haiti über der Karibischen See, wird aber auf seinem Nordkurs noch heute die Südwestspitze Haitis, in der Nacht zum Donnerstag dann Kuba erreichen und im weiteren Verlauf Teile der Bahamas erfassen. Diese Regionen bekommen in den nächsten zwei bis drei Tagen die volle Wucht des nunmehr in die zweithöchste, vierte Kategorie eingeordneten Hurrikans zu spüren. Neben Orkanböen bergen insbesondere die teils enormen Regenfälle ein sehr hohes Gefahrenpotenzial. Niederschlagssummen, die regional zwischen 200 und 500 l/qm, in Staulagen der Gebirge teils auch weit über 500 l/qm erreichen werden (das ist mehr als z. B. in Berlin im Mittel im ganzen Jahr fällt), führen zu großflächigen Überflutungen und Erdrutschen. Große Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur sind zu befürchten.
So viel zu den wirklich schlimmen, wenn auch für solche tropischen Wirbelstürme typischen Auswirkungen. MATTHEW bietet darüber hinaus aber auch ganz spezielle Facetten, wodurch er sich von vielen seiner Artgenossen unterscheidet.
Nachdem MATTHEW als noch recht unscheinbares tropisches Tief über die Inselstaaten St. Lucia und St. Vincent hinweg zog und am 29. September die Karibische See erreichte, erfuhr er eine ungewöhnlich rasche Intensivierung bis zur höchsten fünften Kategorie am 1. Oktober. Zwar waren die meteorologischen Voraussetzungen über der Karibischen See recht günstig (z. B. sehr warmes Meereswasser), trotzdem überraschte diese rasante Entwicklung selbst erfahrene Forecaster. Während dieser Entwicklung zeigte sich ein sog. "pinhole eye". Das steht im Fachjargon für ein extrem kleines, in Satellitenbildern fast wie ein "Nadelloch" erscheinendes wolkenfreies Sturmauge. Wie genau dieses "pinhole eye" zustande kommt, ist unklar. Es scheint jedoch ein Hinweis auf diese starken
Intensitätsschwankungen zu sein. Die daraus resultierenden Vorhersageunsicherheiten treiben regelmäßig Schweißtropfen auf die Stirn der Meteorologen.
Die Entwicklung darf auch deshalb als durchaus bemerkenswert bezeichnet werden, weil sich MATTHEW als erster atlantischer Kategorie-5-Hurrikan seit einer neunjährigen "Ruhephase" in die Geschichtsbücher verewigen wird. Zugleich gab es nur fünf Hurrikans, die seit 1980 so spät in der Saison einen geringeren Kernluftdruck (934 hPa) aufwiesen. Kurios ist auch die Zugbahn: MATTHEW verlagerte sich bis zum 2. Oktober zunächst auf schnurgerader Bahn westwärts, um über der Karibischen See schließlich im fast 90-Grad-Winkel auf einen Nordkurs umzuschwenken. Ein Hurrikan, der den Bereich der Großen Antillen auf einer nördlichen Zugbahn durchquert, darf als sehr seltenes Ereignis bezeichnet werden. Vergleichbares trat nur bei den Hurrikans SANDY (2012) und HAZEL (1954) auf.
Hurrikan MATTHEW ist also in vielerlei Hinsicht ein Wirbelsturm der etwas anderen Art. Bleibt zu hoffen, dass das auch auf seine Auswirkungen zutrifft und sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.10.2016
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst