Wenn man aktuell das ohnehin schon erhebende Gefühl genießt, Europa mittels eines Satellitenfotos von oben zu betrachten, so sieht man die beeindruckende Wolkenspirale eines Tiefdruckgebietes, die sich über der Nordsee und Benelux eingedreht hat. Die Ausläufer des Tiefs bilden dabei am heutigen Mittwochmorgen (19.10.) deutlich erkennbar ein spiralförmiges Muster. Dies ist in der zugehörigen Grafik deutlich zu erkennen, in der eine Satellitenaufnahme im infraroten Bereich (graue Farben) mit einem zusammengesetzten Radarbild (grün-gelbe Farben) kombiniert ist.
Die wirbel- bzw. spiralförmige Struktur der Wolken ist speziell der Corioliskraft geschuldet, die im Thema des Tages schon häufiger besprochen wurde. Was die Wolkenwirbel bzw. die von ihnen gebildete Spirale in ihrer Form so besonders macht, ist die Tatsache, dass der Abstand zum "Mittelpunkt" (in unserem Fall zu dem über dem Nordwesten der Niederlande liegenden Tiefkern) mit jeder Windung um den gleichen Faktor ansteigt. Daraus ergibt sich auch, dass die Kurve der Spirale von allen durch ihren Pol gehenden Geraden unter dem gleichen Winkel geschnitten wird. Dass diese Spirale noch einige andere mathematische Besonderheiten aufweist, sei hier nur am Rande erwähnt.
In der Grafik ist unten rechts eine logarithmische Spirale dargestellt (diese passt allerdings, da sie rechtsdrehend ist, zugegebenermaßen besser zu den Wolkenstrukturen von Tiefdruckgebieten auf der Südhalbkugel, was hier aber nicht entscheidend ist).
Dass sich letztendlich in der Atmosphäre doch nicht das Bild einer idealen logarithmischen Spirale ergibt, hat viele Gründe. Die Kräfte, die in einem Tiefdruckgebiet wirken, ändern sich ständig und die Corioliskraft ist ohnehin von der geografischen Breite abhängig. Darüber hinaus wird die Verlagerung der Fronten durch die Orografie, also die Form der Erdoberfläche, beeinflusst und die zugehörigen Wolkenbänder werden deformiert. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass sich das Tief und damit die gesamte Spirale verlagern, so dass in der Folge natürlich auch die Gesamtstruktur der Spirale verändert wird. Das sind nur einige Punkte, die das Auftreten einer idealen logarithmischen Spirale bei Wolkenbändern verhindern. Aber entscheiden Sie selbst mit Hilfe des angehängten Bildes: Wollen Sie die Verwirbelungen als logarithmische Spirale gelten lassen oder nicht?
Jakob Bernoulli, ein großer Schweizer Mathematiker und Physiker, nannte besagte Form "spira mirabilis", die "Wundersame Spirale". Für ihn war diese Spirale eine mathematische Delikatesse und angeblich fand er ihre Form so faszinierend, dass er in seinen Grabstein eine logarithmische Spirale einarbeiten lassen wollte. Leider sollen die Fähigkeiten (oder das Wissen?) des Steinmetzes so beschränkt gewesen sein, dass er stattdessen eine sogenannte "Archimedische Spirale" eingemeißelt hat - die in etwa die Form einer Bratwurstschnecke aufweist.
Ob das nach Bernoullis Geschmack gewesen ist?
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.10.2016
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst