Der Terminus "Medicane" - man könnte ihn fast für die jüngste Errungenschaft der forschenden Pharmaindustrie halten - erscheint vielen Zeitgenossen zunächst als ein neuer, meteorologischer Fachbegriff. Dabei gibt es ihn bereits seit ca. 30 Jahren. Es ist eine Art Kunstwort und setzt sich aus "mediterran" und "Hurricane" (engl. Schreibweise) zusammen. Geprägt wurde diese auch "Kofferwort" genannte Konstruktion in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals hatte sich die Satellitenmeteorologie endgültig etabliert, was nicht zuletzt zur Gründung der "Europäischen Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten" (EUMETSAT) führte. Auf Satellitenbildern entdeckte man über dem Mittelmeerraum Tiefdruckgebiete, die ein wolkenfreies Zentrum ("Auge") aufwiesen, das, wie bei den tropischen Wirbelstürmen, von spiralförmigen Wolkenbändern umrundet wurde.
Weitere Untersuchungen zeigten, dass diese Art von Mittelmeertiefs Mischformen aus tropischen und außertropischen Tiefdruckgebieten sind, ihre Einstufung als "tropisch", "subtropisch" oder "außertropisch" ist bislang allerdings noch umstritten. Im Gegensatz zu den "echten" tropischen Wirbelstürmen (Hurrikane, Taifune und Zyklone) sind Medicanes nicht in der Lage, nach ihrer Formation ein sich selbst erhaltendes Zirkulationssystem auszubilden. Dafür ist das Mittelmeer als Einzugsbereich offensichtlich zu klein und im Vergleich mit den tropischen Ozeanen wohl auch "zu kalt". Medicanes werden von "außen" angetrieben, und zwar durch Prozesse in der mittleren und höheren Troposphäre im Zusammenhang mit der Polarfront, sofern diese im Winterhalbjahr weit genug südwärts ausgreift. Darin ähneln Medicanes nun wieder den auch unser Wetter bestimmenden, außertropischen Tiefdruckgebieten der mittleren und höheren geographischen Breiten. Medicanes werden nämlich ebenso von der Westwinddrift gesteuert, d.h. ihre Zugrichtung verläuft prinzipiell von West nach Ost.
Weiterhin ist das bei tropischen Tiefdruckwirbeln anzutreffende, in der Vertikalen durchgehend warme Zentrum im Falle der Medicanes nur auf die untere Troposphäre beschränkt. Darüber liegt, wie bei den außertropischen Tiefdruckgebieten, in der mittleren und höheren Troposphäre ein aus Kaltluft bestehender Kern. Meist zerfällt die tropische Struktur der Medicanes rasch und sie enden an den Küsten der Levante oder weiter im Binnenland Vorderasiens als gewöhnliche zyklonale Wirbel, die der Region den ersehnten Winterregen bringen. Auch ihre gesamte Lebensdauer ist im klimatologischen Mittel mit ca. zwei Tagen deutlich kürzer als diejenige von gut ausgeprägten, ausschließlich tropischen oder rein außertropischen Tiefdruckgebieten. Die höchsten Windgeschwindigkeiten eines Medicanes werden mit "nur" 120 km/h angegeben und treten "außen" in den Spiralarmen auf und nicht etwa "innen", d.h. im Randbereich des Auges.
Inzwischen wurde eine an die Saffir-Simpson-Skala für atlantische Hurrikane angelehnte Klassifikation für Medicanes entwickelt. Nach der gemittelten Spitzenwindgeschwindigkeit unterscheidet man hier die "Mediterranean Tropical Depression" bei Werten unter 63 km/h, den "Mediterranean Tropical Storm" mit 64 bis 111 km/h und den "Medicane bzw. mediterranen Hurrikan" bei Geschwindigkeiten ab 112 km/h. Medicanes treten vor allem im Herbst auf, wenn eine stark mäandrierende Frontalzone weit nach Süden ausgreift und der entstandene Trog mit hoch reichender Kaltluft über dem noch warmen Mittelmeer von der sich wieder zonal orientierenden Westwinddrift abgeschnitten wird ("Cut-Off-Prozess"). Das so gebildete "Höhentief" bewirkt ein vertikales Aufsteigen der feucht-warmen Mittelmeerluft. Dabei entsteht durch Abkühlung und Kondensation des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes der charakteristische Wolkenwirbel. Sofern im Zentrum des Medicanes ein wolkenfreies "Auge" anzutreffen ist, herrscht dort insgesamt eine durch komplizierte dynamische Prozesse hervorgerufene Abwärtsbewegung vor, die mit Erwärmung und Wolkenauflösung verbunden ist.
Der aktuelle Medican TRIXI entstand bereits am Donnerstag, den 27.10.2016, über dem südlichen Tyrrhenischen Meer als flaches Tiefdruckgebiet mit einem Kerndruck zwischen 1015 und 1010 hPa. Er zog zunächst südostwärts über Sizilien hinweg, verharrte über dem südlichen Ionischen Meer um sich am gestrigen Montag mit einem weiteren Tief über dem östlichsten Teil des Mittelmeeres zu vereinigen. In seinem Einflussbereich traten verbreitet Sturmböen, örtlich sogar Orkanböen um 120 km/h auf. Die beobachteten Regenmengen beliefen sich auf mehrere zehn Liter pro Quadratmeter. Unter http://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2016/11/1.html finden Sie ein Satellitenbild des Medicanes TRIXI vom Sonntag, den 30.10.2016, 12:00 UTC, ergänzt um eine numerische Analyse der maximalen Windgeschwindigkeit (Isotachen in Knoten [kt], 1 Knoten = 1,852 km/h). Bei etwa 36° Nord, 17,5° Ost, zeigt sich schwach konturiert das "Auge" des Sturmes. An dessen Rand wird ein Windmaximum von 56 kt = 104 km/h berechnet. In der Folgezeit verstärkte sich TRIXI zwar, jedoch verschwand später die auf diesem Bild noch gut ausgeprägte spiralförmige, tropische Wirbelstruktur.
Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 01.11.2016
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst