Winter und Polarregionen? Da denkt man zwangsläufig an die Polarnacht, an wochenlange Dunkelheit und an eisige Kälte. Dunkel ist es, ohne Frage. Das lässt sich schon alleine aus astronomischen Gründen nicht ändern. Das Wetter jedoch möchte heuer nicht so recht mitspielen und macht mehr auf Sommer als auf Winter. In den Regionen unmittelbar um den Nordpol herum ereignet sich nämlich seit Herbst 2016 eine außerordentliche Wärmeperiode. Von September 2016 an bis heute lag die tägliche mittlere Temperatur nördlich des 80. Breitengrades ununterbrochen über den klimatischen Mittelwerten. Somit werden seit mehr als 150 Tagen überdurchschnittliche Werte ermittelt. Dabei erreichten die positiven Abweichungen teilweise eine Größenordnung, wie sie bei uns in Mitteleuropa unvorstellbar sind. Vielfach bewegten sich die Anomalien in einem Bereich zwischen 10 und 15 Grad über den "Normalwerten". Im November gipfelte die Wärmeperiode in einer sagenhaften positiven Anomalie von mehr als 20 Grad. Es wurden Temperaturen beobachtet, wie sie teils im Sommerhalbjahr nicht verzeichnet werden.
Größere Temperaturschwankungen treten in den Polarregionen häufiger auf. Es ereignen sich immer wieder mal kräftige Warmluftvorstöße bis zum Nordpol. Dabei wird die während der Polarnacht stattfindende, fortwährende Auskühlung der Luft durch das Heranführen warmer Luftmassen auf der Vorderseite kräftiger Sturm- und Orkantiefs unterbrochen. Doch normalerweise wechseln sich diese Phasen der Erwärmung mit wieder deutlich kälteren Phasen ab. Insofern ist die Ausdauer, mit der die derzeitige Wärmeperiode aufwartet, wirklich außergewöhnlich. Darüber hinaus soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Arktis nicht nur partiell, sondern nahezu flächendeckend von diesem Phänomen betroffen ist - und die Meteorologen und Klimatologen kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Der "Sommer im arktischen Winter" bleibt natürlich nicht ohne Folgen für das Meereis. Nachdem am 10. September 2016 das saisonale Minimum der Eisbedeckung registriert wurde, konnte das Eis aufgrund der warmen Temperaturen in der Folge nur zögerlich anwachsen. Es kam, wie es kommen musste: Im November 2016, just, als sich die Wärmeperiode zum Höhepunkt aufschwang, verzeichnete man neue Tiefststände in der Eisbedeckung. Dabei sollte sie gerade dann, nämlich während des Herbstes, im Arktischen Ozean zügig anwachsen. Die positive Temperaturanomalie wirkt sich nicht nur auf die Eisbedeckung, sondern auch auf das Eisdickenwachstum aus. Friedemann Schenk, ein Kollege vom "Verein der Berliner Wetterkarte", rechnete jüngst aus, dass die Meereisdicke Ende Januar bereits 83 cm dünner sein dürfte als bei einer durchschnittlichen Wachstumsperiode.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich das Meereis bis zum Start in das Sommerhalbjahr nicht mehr erholen wird. Damit droht in diesem Jahr ein neues Meereis-Minimum. Da das arktische Meereis großen Einfluss auf die ozeanische und atmosphärische Zirkulation hat, zudem Lebensraum für eine speziell angepasste Flora und Fauna bietet, ist die Tragweite dieser Entwicklung gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.02.2017
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