Die "Kryosphäre" oder "Eissphäre" der Erde umfasst als Gesamtheit des auf der Erde vorkommenden Wassers im festen Aggregatzustand das Meer- und Schelfeis, das Inlandeis, die Hochgebirgsgletscher, das in Eishöhlen und in Dauerfrostböden enthaltene Eis sowie nicht zuletzt im Winter zugefrorene Binnengewässer und verschneite Oberflächen, letztere als saisonal sehr stark variierende Komponenten. Dabei bildet das Inlandeis, also die ausgedehnten, festes Land bedeckenden Gletscher ("Festlandgletscher") die bei weitem größte Komponente.
Aufgrund der Strahlungseigenschaften des Eises, vor allem bei vorhandener Neuschneedecke, ein hohes Reflexionsvermögen für kurzwellige solare Strahlung (Albedo) und einen hohen Emissionsgrad für langwellige terrestrische Strahlung zu besitzen, hat die Kryosphäre eine große Bedeutung für das Klimasystem der Erde. Insbesondere die riesigen Eisschilde der Antarktis und Grönlands steuern als Kältereservoire die "planetare Zirkulation der Atmosphäre" und darüber hinaus als Süßwasserquelle auch die "thermohaline Zirkulation der Ozeane" (Stichwort Golfstrom). So hat das grönländische Inlandeis einen entscheidenden Einfluss auf Wetter, Witterung und Klima im nordatlantisch-europäischen Raum. Kleinere Gletscher wirken sich zumindest auf das lokale Klima im Hochgebirge aus.
Entstehung, Wachstum und Verschwinden von Gletschern hängen sowohl von der Umgebungstemperatur als auch von den regionalen Niederschlagsverhältnissen ab. Dabei erfolgt im Falle der "warmen oder temperierten" Gletscher der Rückgang des Eises infolge Erwärmung der Atmosphäre zunächst wegen der Temperaturerhöhung selbst, und zwar durch vermehrtes Schmelzen und Verdunsten an der Gletscheroberfläche in den Sommermonaten. Dazu könnten nach einer Änderung des Niederschlagsregimes die Neuschneefälle ausbleiben, so wie es bei den südamerikanischen Andengletschern in El-Niño-Jahren der Fall ist.
Neuschnee reflektiert das Sonnenlicht sehr stark, verhindert somit die Energieübertragung und schützt das darunter liegende Gletschereis vor Erwärmung. Fehlender Neuschnee bzw. eine tauende Eisoberfläche mit geringerem Reflexionsgrad führen zu stärkerer Absorption der einfallenden Sonnenstrahlung und zu weiterer Erwärmung. Einen derartigen, sich selbst verstärkenden Prozess nennt man in der Regelungstheorie eine "Positive Rückkopplung".
Ein zweiter Aspekt ist das entstehende Schmelzwasser. Sammelt es sich in Pfützen und Tümpeln an der Gletscheroberfläche, so verringert es deren Reflexionsvermögen. Frisst sich der Schmelzwasserstrom dagegen in Schloten und Gletscherspalten durch das Eis und gelangt auf diesem Wege an die Unterseite des Gletschers, könnte er auf dem "Gletscherbett" einen Gleitfilm zwischen Gestein und Eis bilden, der die Fließgeschwindigkeit des Gletschers erhöht und den Abgang der Gletschermasse forciert. Auch bringt ein im Unterlauf in seiner Dicke reduzierter Gletscher den vom Hang nachrückenden Eismassen einen geringeren Widerstand entgegen, wird also leichter zu Tal geschoben und abgebaut.
Was wären nun die Folgen einer globalen Erwärmung auf die Kryosphäre, insbesondere auf die Gletscher? Wenig verwundbar ist das Inlandeis der Antarktis, denn die Südpolregion ist einfach zu kalt, um durch die von den Klimaforschern projektierte Temperaturerhöhung von einigen Grad Celsius einfach abzuschmelzen. Jedoch könnte das küstennahe Eis der Antarktischen Halbinsel dezimiert werden. Das Grönlandeis ist empfindlicher, als Überbleibsel der letzten Eiszeit konnte es bisher nur überdauern, weil es aufgrund seiner schieren Masse sein eigenes Klima bildet. Es erzeugt ein "Kältehoch", das die atlantischen Tiefdruckgebiete, die an ihrer Vorderseite Warmluft nordwärts führen, südwärts abdrängt. Ein Rückgang des grönländischen Eises würde also direkt die Westwinddrift im
nordatlantisch-europäischen Raum und damit auch unser Klima in Mitteleuropa beeinflussen. Der mit einem Abtauen des Grönlandeises einher gehende Eintrag von Süßwasser in die nördlichen Meere hätte Wirkung auf die thermohaline Zirkulation des Nordatlantiks, möglicherweise sogar auf Stärke und Verlauf des Golfstromes. Des Weiteren könnte sich beim Abschmelzen des arktischen Inlandeises der Meeresspiegel erhöhen, allein das Wasser aus dem Grönlandlandeis in flüssiger Form würde den Meeresspiegel weltweit um bis zu sieben Metern ansteigen lassen. Hunderttausende Quadratkilometer Land würden überflutet, beispielsweise in Bangladesch, Florida oder den Niederlanden. Eben beschriebene Effekte könnten in einer Zeitspanne von wenigen hundert Jahren auftreten.
Wesentlich zeitnaher sind die Folgen des Rückganges der Gletscher in den Hochgebirgen. Schon in wenigen Jahrzehnten könnten die meisten Alpengletscher verschwunden sein, mit dem Resultat des regionalen Wassermangels, denn Gletscher fungieren als Süßasserreservoir. Beispielsweise speichern die Schweizer Gletscher insgesamt so viel Wasser, wie es der Menge des Jahresniederschlages des Landes entspricht. Millionen von Menschen in den Alpenländern, aber auch in Staaten wie Bolivien, Peru oder Indien benötigen das Schmelzwasser der Gletscher als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen oder zur Energiegewinnung in Wasserkraftwerken. Sie säßen beim Verschwinden der Gletscher buchstäblich auf dem Trockenen.
Das unten publizierte Foto von Luca Galuzzi zeigt den Perito-Moreno-Gletscher ("Kalbungsfront" bei ca. 50°29'S, 73°02'W), einen der größten "Auslassgletscher" im Campo de Hielo Sur, in den südamerikanischen Anden (Patagonien, Provinz Santa Cruz, Argentinien). Er entspringt in 2950 m Höhe nahe des Berges Cerro Pietrobelli und fließt nach 30 km Länge ostwärts in den Lago Argentino auf 185 m Höhe. Seine Flächenausdehnung beträgt ca. 254 km², die Fließgeschwindigkeit an der bis zu 77 m mächtigen Gletscherfront wird mit knapp 800 m pro Jahr angegeben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gletschern auf der Welt, die sich seit dem Ende der "Kleinen Eiszeit" (um 1850) zurückziehen, zeigt der "temperierte" Perito-Moreno-Gletscher in seiner Massenbilanz keinen eindeutigen Trend.
Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.06.2017
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