Während sich ein großer Teil der Bevölkerung über die aktuellen spätsommerlich warmen Tage freuen wird, bekommen Gletscherforscher (Glaziologen) die mittlerweile alljährlich wiederkehrenden Sorgenfalten. Die Witterung in den Sommermonaten ist nämlich von entscheidender Bedeutung, wie die Massenbilanz eines Gletschers am Ende des Bilanzjahres am 30. September ausschauen wird.
Ein idealisierter Gletscher besteht aus zwei unterschiedlich definierten Bereichen. Der obere Abschnitt des Eiskörpers wird als "Akkumulationsgebiet" bezeichnet, in der deutschen Sprache wird dafür auch das Wort "Nährgebiet" verwendet. Dort fällt im Mittel im Winter und Frühling mehr Schnee, als in den wärmeren Monaten abschmelzen kann. Besonders gut für ein Akkumulationsgebiet eignen sich Mulden und Senken, da sich dort in der Regel durch Windverfrachtung und Lawineneinflüsse am meisten Schnee halten kann. Überdauert die Winterschneedecke schließlich den Sommer, wird der übriggebliebene Altschnee fortan als Firn bezeichnet.
Mit den Jahren wird dieser Firn durch Komprimierung und Reduzierung der Lufteinschlüsse immer dichter und geht nach längerer Zeit in Eis über. Dieses "fließt" aufgrund der Schwerkraft langsam ins Tal hinab. Dabei erreicht der Eisstrom aber irgendwann eine Höhenzone, in der die klimatischen Randbedingungen zu einem stärkeren Abschmelzen führen. Dieser Bereich wird als "Ablations-" oder "Zehrgebiet" bezeichnet. Zwischen Akkumulations- und Ablationsgebiet befindet sich die sogenannte "Gleichgewichtslinie", an dieser der Schneezuwachs (Akkumulation) das Abschmelzen (Ablation) ausgleicht. Die Differenz aus Akkumulation und Ablation des gesamten Gletschers wird Massenbilanz (Massenzufluss-Massenverlust) genannt.
Natürlich hängt diese Massenbilanz zum einen entscheidend von der Mächtigkeit der Winterschneedecke ab. Besonders Kaltlufteinbrüche im Spätwinter oder Frühling können in den hochalpinen Lagen für eine ordentliche Menge Neuschnee sorgen. Zum anderen ist die Temperatur- und Niederschlagsentwicklung im Sommer für die Ablation von großer Bedeutung. Ein wichtiger Indikator für das Abschmelzpotential ist daher in erster Linie die mittlere Lufttemperatur. Das Klimadiagramm der Zugspitze (2964 m) zeigt zum Beispiel, dass der August bisher deutlich wärmer war, als nach dem vieljährigen Mittel der Referenzperiode (1961-1990) erwartet wird. Zudem macht der Verlauf der Tagestiefsttemperaturen deutlich, dass nur in wenigen Nächten die Frostmarke unterschritten wurde. Es kann also angenommen werden, dass es zu einem starken Abschmelzen der Schneedecke sowie des Eises kam.
Dabei muss allerdings noch ein weiterer, sehr bedeutender Effekt beachtet werden: Mit dem Abschmelzen des weißen Schnees kommt die meist durch Staub, Sand und Geröll deutlich schmutzigere und damit dunklere Eisoberfläche zum Vorschein. Aufgrund des physikalischen Grundprinzips, dass eine dunkle Oberfläche deutlich mehr Sonnenstrahlung aufnimmt als ein heller Untergrund, wird das Abschmelzen des Eises stark beschleunigt. Durch das nun fehlende Eis ist aber in weiterer Folge auch die unmittelbare Umgebung des Gletschers von stärkerer Erwärmung betroffen. Dieser Wärmeüberschuss steigert aber seinerseits wieder das Abschmelzen des Gletschers. In der Klimaforschung wird ein solcher, sich selbst verstärkender Vorgang, als positive Rückkopplung bezeichnet.
Eine starke Kaltfront, die für Schneefälle im Hochgebirge sorgen würde, wäre demnach für die Gletscher zu dieser Jahreszeit Gold wert. Eine frische und damit weiße Neuschneeauflage könnte zumindest eine Unterbrechung der diesjährigen Abschmelzperiode bewirken. Allerdings zeigen die aktuellen kurz- und mittelfristigen Wetterprognosen für die letzten Augusttage einen ganz anderen Trend. In den süddeutschen Bundesländern sowie im Ostalpenraum bleibt es sommerlich warm, wobei die Temperatur örtlich auch die Marke von 30 Grad überschreiten kann. Allerdings sind auch ein paar Schauer und Gewitter dabei. Im Norden Deutschlands wird es zwar nicht ganz so warm, vorübergehend stehen am Samstag aber auch dort sommerliche Temperaturen in Aussicht.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.08.2017
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