Wie bereits im Thema des Tages vom 1. Juni 2017
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2017/6/1.html) beschrieben, wurde für den Nordatlantik eine aktive Saison vorhergesagt. Bisher entwickelten sich in diesem Jahr 15 benannte Stürme, 10 Hurrikane und davon 6 sogenannte "major" Hurrikane, also der Kategorie 3 oder höher auf der 5-teiligen
Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala. Auffällig dabei ist, dass viele der Tropenstürme, die sich zu Hurrikanen verstärkten, besonders kräftige Systeme waren und die saisonale Vorhersage von sogenannten "major" Hurrikanen gar übertroffen wurde.
Im Folgenden wird näher auf die Intensivierungsphase eines Hurrikans eingegangen. Grundsätzlich entscheiden mehrere meteorologische Parameter, wie schnell sich ein Tropensturm zu einem Hurrikan entwickelt und wie intensiv er danach auf der 5-teiligen Saffir-Simpson-Hurrikan Skala ausfällt. Für eine Verstärkung wird eine scherungsarme Umgebung benötigt. Das heißt, der Wind sollte mit der Höhe nicht allzu kräftig zunehmen, damit sich Gewitter in Ruhe um ein gemeinsames Tiefdruckzentrum organisieren und strukturieren können. Zudem sollte die Troposphäre hochreichend feucht sein. Ein Trugschluss ist, dass dies in den Tropen immer gegeben ist, denn von Afrika aus wird hin und wieder eine trockene und heiße Luftmasse westwärts über den tropischen Atlantik geführt, was die Entwicklung und/oder Intensivierung von Tropenstürmen vorübergehend unterdrücken kann. Förderlich sind des Weiteren hohe Wassertemperaturen, damit sich kräftige Gewitter entwickeln können.
Wenn diese Bedingungen gegeben sind und der Tropensturm nicht auf Land trifft, muss von einer Verstärkung ausgegangen werden. Sind nun aber einige oder alle diese Zutaten gegeben (sehr geringe Scherung, eine sehr feuchte mittlere Troposphäre und ausgesprochen warme Meeresoberflächentemperaturen), kann es zu der gefürchteten "rasanten Intensivierung" eines Tropensturmes kommen. Unterschiedliche Studien kamen für den Nordatlantik zu dem Ergebnis, dass bei einem Luftdruckfall im Zentrum eines Sturms von mindestens 25 hPa in 24 Stunden oder einer Windzunahme von 30 kt (etwa 56 km/h des 1-minütigen Mittelwindes) von einer rasanten Intensivierung ausgegangen werden kann (klimatologisch rasante Intensivierungsrate). Allerdings gibt es zu diesen Schwellwerten noch unterschiedliche Meinungen, auch ob Druckfall oder Windzunahme herangezogen werden sollen.
Diesem Beitrag beigefügt ist im ersten Bild eine Grafik mit der Windgeschwindigkeit in km/h auf der y-Achse und einem zeitlichen Verlauf in Stunden auf der x-Achse. Im zweiten Bild wurde auf der y-Achse der Kerndruck aufgetragen. Die jeweils schwarz-punktierte Linie stellt die klimatologische Intensivierungsrate eines Tropensturms für die Windgeschwindigkeit und den Kerndruck dar. Zusätzlich sind auch noch die Hurrikane "Jose", "Irma", "Harvey" (alle von 2017 im Nordatlantik und in der Karibik), Hurrikan "Otis" (2017 im Nordostpazifik) und Hurrikan "Patricia" (2015 ebenfalls im Ostpazifik) farblich eingetragen.
Bei der Windgeschwindigkeit fällt auf, dass diese Hurrikane allesamt Phasen aufwiesen, in denen sie sich schneller als bei der klimatologisch rasanten Intensivierungsrate verstärkten. Hurrikan "Otis" zum Beispiel verdoppelte seine Windgeschwindigkeit von rund 90 km/h auf mehr als 180 km/h in 12 Stunden, Hurrikan "Irma" verstärkte sich von rund 220 km/h binnen 24 Stunden auf knapp 300 km/h mittlere Windgeschwindigkeit und Hurrikan "Patricia" intensivierte sich innerhalb von knapp 24 Stunden von 170 km/h auf rund 340 km/h (einminütige Windgeschwindigkeiten). In den Saisons 2015 und besonders 2017 erlebten sehr viele Tropenstürme eine rasante Intensivierungsphase, was vor allem auf die sehr hohe Wassertemperatur um 30 Grad und geringe Windscherung in diesen Bereichen zurückgeführt werden kann.
Ähnliches ist beim Kerndruck zu beobachten. Hurrikan "Otis" erlebte einen Druckfall von rund 30 hPa in 12 Stunden und "Patricia" gelang gar innerhalb von rund 24 Stunden ein Druckfall von rund 100 hPa auf etwas über 870 hPa. Nur zum Vergleich: Unserer erster Herbststurm "Sebastian" über der Nordsee Mitte September wies einen Kerndruck von 980 hPa auf.
Die Intensitätsänderungen sind in der Tropensturmvorhersage weiterhin ein großes Mysterium. Meist kann zwar grob festgestellt werden, dass die Bedingungen für eine rasante Intensivierung günstig sind, doch ob und wann die Verstärkung genau einsetzt, lässt sich auch heutzutage kaum vorhersagen. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte, wie wahrscheinlich es ist, dass sie auftritt. Ist der Hurrikan sehr klein und kompakt (wie "Otis"), kann er sich sehr schnell verstärken oder auch abschwächen. Analog kann es ebenfalls zu extremen Intensitätsschwankungen kommen, wenn der Tropensturm ein äußerst kleines Auge entwickelt (ein sog. "pinhole eye", wie es bei Hurrikan "Patricia" der Fall war).
Wie gefährlich solch ein Intensivierungsschub sein kann, zeigte Hurrikan "Harvey", der sich kurz vor Landgang an der Küste von Texas (USA) trotz der Landnähe nochmals sehr schnell verstärkte, wobei die Mittelwinde von 130 km/h auf rund 210 km/h in 24 Stunden zulegten und der Kerndruck um mehr als 35 hPa fiel. Mit voller Wucht traf er auf Land und sorgte dort neben den Regenfällen auch durch den Wind für große Zerstörung.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass im Bereich der Tropensturmvorhersage noch viel Forschung erbracht werden muss, damit eines Tages mit genügend zeitlichem Vorlauf abgeschätzt werden kann, ab wann und wie rasch sich ein Tropensturm innerhalb der kommenden Stunden verstärkt. Bis dahin bleibt nur eine zeitlich und räumlich sehr hoch aufgelöste Überwachung des Sturms, um auf eine rasante Intensivierung zeitnah mit Warnungen reagieren zu können.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.10.2017
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