Weihnachtsmärkte haben für viele Menschen einen ganz besonderen Reiz: Die schöne Beleuchtung und die weihnachtliche Musik steigern zusammen mit Glühwein- und Lebkuchengeruch die Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Etwas darf dabei sowohl auf den Weihnachtsmärkten als auch in vielen Wohnzimmern nicht fehlen: der Weihnachtsbaum. Rund 30 Millionen Stück werden in Deutschland jährlich verkauft. Ist dieser im heimeligen Wohnzimmer höchstens dem zwischenmenschlichen Chaos und Tumult besonders an den Feiertagen ausgeliefert, hat er draußen mit der launischen Mutter Natur, mit Wind und Wetter zu kämpfen.
Letzten Punkt haben Wissenschaftler der FH Aachen nun zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht und untersucht, wie sich ein Weihnachtsbaum im Sturm verhält. Dafür haben sie eine Nordmanntanne in einen Windkanal gestellt und Windgeschwindigkeiten von über 80 km/h ausgesetzt und den Staudruck gemessen, der sich bei unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten aufbaut. Aus diesem Staudruck lässt sich der sog. "Widerstandsbeiwert" (oder auch
Strömungswiderstandkoeffizient, cw-Wert) ermitteln. Dieser Wert ist eine dimensionslose aerodynamische Größe zur Angabe des Widerstandes bei der Umströmung von Körpern.
Das Ergebnis war ganz im Sinne echter "Weihnachtswissenschaft": voller Überraschungen. Der Tannenbaum weist einen Widerstandsbeiwert von etwa 0,8 auf. Das sagt Ihnen erstmal nichts? Dann ein kleiner Vergleich: Es entspricht dem Luftwiderstand eines kantigen LKWs, der ebenfalls einen cw-Wert von 0,8 hat. Ein modernes Auto liegt hingegen bei 0,3 und ein Pinguin ist mit einem cw-Wert von nur 0,03 besonders "windschnittig".
Mit einem so "schlechten" Ergebnis hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet, denn bisher war man von einem wesentlich niedrigeren Wert ausgegangen - und entsprechend schwächer sind auch die nötigen Verankerungen der Weihnachtsbäume auf Weihnachtsmärkten bemessen worden.
Das Versuchsobjekt an der Fachhochschule Aachen war zwar nur 1,20 m hoch, die Ergebnisse lassen sich aber auf größere Bäume hochskalieren. Ein zehn Meter hoher Baum müsste im konkreten Fall mit zehn bis zwölf Tonnen Gegengewicht verankert werden, das ist deutlich mehr als bisher angenommen. Natürlich kommt es auch auf den genauen Standort des Weihnachtsbaumes an: Steht er windgeschützt oder in einer Schneise zwischen Häusern, wo der Wind aufgrund des Düseneffektes so richtig durchpfeift (z.B. wie auf der Zeil in Frankfurt)?
Normalerweise werden in einem Windkanal Versuche aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt- sowie Automobil- und Motorradtechnik durchgeführt; also z.B. der Luftwiderstand von Autos oder Flugzeugen untersucht. Ein Tannenbaum hingegen hatte bis dahin noch keinen Weg in den Windkanal gefunden. Umso spezieller waren die Vorkehrungen, die für den Versuch getroffen wurden: Damit die Tannennadeln nicht überall herumfliegen, wurden sie vorher mit mehreren Dosen Klarlack fixiert. Getestet wurde bis zu einer Windgeschwindigkeit von gut 80 km/h (Bft 9), da ab dieser Schwelle auf den meisten Weihnachtsmärkten die Buden geschlossen werden.
Dass Winterstürme Christbäume zum Umstürzen bringen, ist leider keine Seltenheit. Erst letztes Jahr ist der fast zehn Meter hohe Weihnachtsbaum auf dem Aachener Markt umgekippt, vorletztes Jahr die 28 Meter hohe Tanne (zum Glück vor Eröffnung des Weihnachtsmarktes) in Erfurt. Auch derzeit bringt Sturmtief WALTER die Tannenbaumspitzen gehörig ins Wanken. Aber mit der neuen
"Weihnachtsbaum-Ballast-Kalkulation" kann nun hoffentlich Schlimmeres verhindert werden.
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.12.2017
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