Der Name des Phänomens Haareis (manchmal auch Eiswolle genannt) ergibt sich direkt aus seinem Erscheinungsbild. So bilden sich an Wintertagen an manchen herumliegenden Ästen oder abgestorbenen Bäumen bis zu 10 Zentimeter lange und dicht stehende Eishaare. Das angehängte Bild (unter http://www.dwd.de/tagesthema) zeigt ein solches Phänomen, aufgenommen in der Rhön am 31.01.2014. Haareis bildet sich in Mischwäldern vor allem an schneefreien Wintertagen, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist und die Temperatur nur wenig unter 0 Grad liegt. Dabei sind die genauen Details der Bildung noch immer Gegenstand der Forschung.
Bereits im Jahre 1918 hat Alfred Wegener einen Beitrag über Haareis auf morschem Holz in der Zeitschrift ?Die Naturwissenschaften? veröffentlicht. Da Wegener nur auf manchen herumliegenden Aststücken das Phänomen beobachten konnte, vermutete er einen Pilz als Auslöser. Während es zu dieser Zeit die Vermutung gab, dass das Eis seinen Ursprung aus der Luft hatte, war Wegener der Meinung, dass das Wasser aus dem Holz stammt. Die Feststellungen von Wegener wurden in der Folge von anderen Wissenschaftlern diskutiert. Dr. W. Emeis war der Ansicht, dass die Bildung von Eiswolle ein rein physikalisches Phänomen ist und nichts mit Pilzen zu tun hat.
Im Jahr 1985 experimentierte Karl Lenggenhager an dem Phänomen, in dem er entrindete Aststücke in Wasser einlegte und anschließend kalten Temperaturen aussetze. Abgesehen von einem weißen Überzug bildete sich aber kein Haareis. Einzig auf mitgenommenen Buchenästen, die schon in der Natur Eiswolle angesetzt hatten, gelang die Züchtung.
Bis heute hat es weitere Untersuchungen zu diesem Phänomen gegeben, wobei sich vor allem Gerhart Wagner um den aktuellen Stand der Forschungen verdient gemacht hat.
Mittlerweile sind einige Dinge klar: Haareis bildet sich an abgestorbenen Holzkörpern, wobei sich die Rinde gerade ablöst oder schon abgelöst hat. Die Haare haben eine Dicke von 0.01 bis 0.1 mm und können mal glatt und mal rau sein. Manchmal lassen sich auch sogenannte Schneeflöhe in den Haareisansammlungen finden. Es scheint heute gesichert, dass die Eiswolle ihren Ursprung in der Feuchtigkeit des Totholzes hat. Auch gibt es in neuen Studien weitere Hinweise auf darauf, dass ein lebender Pilz hinter dem Phänomen steckt. Diese Pilze leben von organischen Nährstoffen aus dem Holz und wandeln sie in CO2 und Wasser um. Dieses feuchte Gasgemisch verlässt das Holz über sogenannte Holzstrahlen. Das sind radial nach außen verlaufende Reihen dünnwandiger Zellen, die ein dichtes System feiner Kanäle bilden.
Verschiedene Experimente bestätigen die Pilzhypothese. Beispielsweise lassen sich Züchtungen nur erfolgreich mit Hölzern durchführen, die auch in der Natur schon Haareis angesetzt hatten. Bei Holzstücken, wo zum Teil noch intakte Rinde zu finden war, ließen sich Rückstände von Fruchtkörpern der Pilze finden. Sobald die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt, setzt auf den durchnässten, aber oberflächlich abgetrockneten Hölzern, die Bildung der Eishaare ein. Die Wachstumsgeschwindigkeit ist beeindruckend und lag in der Anfangsphase bei einem halben bis über einem Zentimeter pro Stunde. Später verlangsamt sich das Wachstum.
In einem weiteren Experiment wurde versucht, den Pilz auszuschalten, indem man die haareisproduzierenden Holzstücke vorher testweise Hitze, Alkohol und Fungizid (Wirkstoff zum Abtöten von Pilzen) aussetzte. Die Hitzebehandlung führt dazu, dass die Haareisbildung in der folgenden Nacht entweder deutlich vermindert war, oder komplett unterblieb. Auch das Fungizid unterdrückte bei genügend langer Einwirkzeit die Bildung von Eiswolle vollständig. Alkohol führte ebenfalls zu einer Beeinträchtigung, allerdings erst ab Tag zwei. Interessant ist zudem die Erkenntnis, dass Nachzüchtungen nur eine gewisse Zeit möglich sind, sodass zu vermuten ist, dass der Pilz abstirbt, wenn die Nährstoffe aus dem Totholz aufgebraucht sind. Somit lässt sich zusammenfassen, dass die Haareisbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Stoffwechsel von Pilzen zurückgeht. Das resultierende CO2 liegt übersättigt im Wasser des Holzes vor und sorgt durch den entstehenden Gasdruck für den Ausstoß des Wassers. Gleichzeitig sind die biologischen Pilzbestandteile Grundlage für die Bildung von Eis. Wichtig ist, dass auch die Umgebungsluft gesättigt ist, da sonst der Eisflaum rasch wieder verschwindet. Das biologische Material scheint zudem der Anziehungspunkt von den manchmal zu beobachteten Eisflöhen zu sein. Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt mit sinkender Temperatur ab, da bei zu kalten Temperaturen der Pilz nicht mehr arbeitet.
Die umfassende Studie ist nachzulesen unter:
http://www.wagnerger.ch/daten/Maetzler-Wagner.pdf Vielleicht können Sie bei einem aufmerksamen Waldspaziergang an diesem Wochenende in den noch nicht verschneiten Gebieten das Phänomen selbst antreffen. Über ein Foto davon würden wir uns in jedem Fall sehr freuen.
Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.12.2017
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