Die Anden erstrecken sich über 7500 km entlang der Westküste Südamerikas von Venezuela bis nach Argentinien und Chile. Damit übertreffen sie mit ihrer Ausdehnung das
Himalaya-Karakorum-Hindukusch-System um fast das doppelte. In ihrem Regenschatten, im Norden Chiles, liegt die Atacamawüste, eine der trockensten Regionen der Erde. Ostwinde, die über die Anden streichen, sind trocken und bringen dort keine Niederschläge. Von Westen heranströmende Luftmassen werden nahe der Küste hingegen durch den kalten Humboldtstrom gekühlt, sodass die Entwicklung von Regenwolken und folglich auch Steigungsregen unterdrückt wird. Es ist also wenig verwunderlich, dass im Süden der Atacamawüste angesiedelte Städte wie Chungungo (etwa 820 km nördlich der Hauptstadt Santiago de Chile) unter Wassermangel leiden, fallen dort doch im Schnitt lediglich 18 mm Niederschlag pro Jahr. Die Stadt Iquique weiter nördlich in der Region Tarapacá weist sogar nur 2,4 mm pro Jahr auf. Erst im Jahr 2015 haben Forscher in der Atacamawüste den wohl trockensten Platz der Erde gefunden: María Elena South. Mit einer mittleren relativen Luftfeuchte von nur 17% ist die Umgebung ähnlich trocken wie der Mars.
In diesen Regionen der Erde zeigt sich die Trinkwasserknappheit deutlich. Weltweit haben mehr als 600 Millionen Menschen laut der WHO (Weltgesundheitsorganisation) keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Darüber verschwenden die meisten Deutschen bei ihrem täglichen Verbrauch von durchschnittlich 120 Litern meist keinen Gedanken. Allerdings ist die Trinkwassergewinnung beispielsweise aus Meerwasser meist sehr kosten- und energieintensiv. In einigen Küstenregionen, wie im Norden Chiles, bildet sich jedoch aufgrund des vergleichsweise kühlen Meerwassers häufig Nebel oder Hochnebel, den man sich zunutze machen kann.
Das Prinzip ist dabei recht einfach: Im Stau der Anden, wo sich häufig hochnebelartige Bewölkung hält, spannt man gigantische Kunststoffnetze auf. Die feinen Wassertröpfchen des dichten Nebels "verfangen" sich daraufhin in den feinmaschigen Netzen. Entlang des Gewebes fließen die Tröpfchen dann ab und münden schließlich in lange Rohrleitungen, die beispielsweise an die Küste nach Chungungo führen. So können täglich pro Netz auf einer Fläche von 8 Quadratmeter je nach Nebellage etwa 10 bis 100 Kubikmeter Wasser gewonnen werden, insgesamt sind es nahe Chungungo etwa 110.000 Liter Wasser pro Tag. Das so gewonnene Wasser kommt den Anwohner zudem deutlich günstiger als das Wasser der Tanklaster, die aus dem regenreichen Süden Chiles kommen.
Allerdings ist das Prinzip der "Nebelernte" dabei nicht neu. Bereits die Spanier beobachteten bei der Eroberung der kanarischen Insel El Hierro, die deutlich wasserärmer ist als ihre Nachbarn Teneriffa, La Palma oder Gomera, wie die Ureinwohner Lorbeerbäume zur Wassergewinnung nutzten. Über die Blätter des Baumes "ernteten" sie Trinkwasser aus dem Nebel.
Die Anlagen zur "Wolkenernte" sind zwar sehr günstig in der Anschaffung, haben jedoch langfristig so ihre Tücken. Zu Beginn ist die Freude über den Ertrag noch hoch, mit der Zeit beschädigen jedoch äußere Einflüsse wie Stürme die großflächigen Netze und Regenrinnen. Entsprechend stehen immer wieder Wartungen und Reparaturen an. Deshalb arbeiten Forschungsorganisationen an neuen Verfahren und Materialien, um die Wolkenernte kostengünstiger und effektiver zu machen.
In Deutschland gibt es derzeit keinen Wassermangel. An den Alpen, im Alpenvorland sowie in Staulagen der Mittelgebirge ist das Monatssoll verglichen mit dem klimatologischen Mittel zwischen 1961 und 1990 bereits erreicht, teils auch deutlich überschritten. Lediglich der äußerste Westen und Norden sind mit etwa 20 bis 30% des Monatssolls (entspricht etwa 10 bis 20 Litern pro Quadratmeter) noch zu trocken für den Monat Januar. Aber auch dort besteht keine Notwendigkeit die zurzeit sehr tief hängenden grauen Wolken zu melken.
MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.01.2019
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