Vom 9. auf den 10. Januar 2019 entwickelte sich über der Grönlandsee ein gewaltiges Orkantief, das vom Institut für Meteorologie der FU Berlin den Namen DONALD erhielt. Es beeinflusste ein Gebiet zwischen Spitzbergen und dem Europäischen Nordmeer. Doch wie kam es zu dieser explosiven Tiefdruckentwicklung (auch als "rapide Zyklogenese" bekannt) mit einem Kerndruck, der innerhalb von 18 Stunden von 990 hPa auf etwas unter 950 hPa fiel?
Im Anhang sind in Bild 1 die wichtigsten Zutaten für solch eine heftige Tiefdruckentwicklung stark vereinfacht zusammengefasst. Zunächst bedarf es eines markanten Nord-Süd-Gefälles der Temperatur. Die großen Zahlen entsprechen der Temperaturverteilung in rund 1,5 km über Grund. Man erkennt, dass im Umfeld von Grönland eisige Winterluft mit Werten von unter -20 Grad herrschten (die Werte über Grönland sind wegen der Orografie von teils mehr als 3000 m nicht alle repräsentativ), während über Island milde Luft mit deutlichen Plusgraden nach Norden vorstieß. Gleichzeitig wehte in rund 9 km über Grund ein sehr kräftiger Westwind, der sogenannte "Polarfrontjet". Dieser wird durch die pinke Flächenfarbe dargestellt, wobei die schwarzen Linien die Druckverteilung in dieser Höhe angeben. Eng beieinanderliegende Linien sind gleichbedeutend mit einem starken Druckunterschied und hohen Windgeschwindigkeiten. Gemessen wurden zu der Zeit in diesem Höhenbereich Maxima von mehr als 250 km/h! Wenn sich nun ein Tiefdruckgebiet im richtigen Bereich unter einem solchen Starkwindband bildet, kann es in Verbindung mit dem vorhandenen Temperaturgradienten zu solch einer explosiven Entwicklung kommen.
In Bild 2 ist die Lage des Orkantiefs östlich von Grönland mit Hilfe von Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) dargestellt, wobei die Isobaren zwischen 980 hPa und 1020 hPa entfernt wurden. In Flächenfarbe sind die vom deutschen Wettermodell ICON (horizontale Auflösung von 13 km) erwarteten Windböen in km/h eingetragen. Wenig überraschend werden im Bereich mit der stärksten Isobarendrängung westlich des Tiefzentrums schwere Sturmböen bis Orkanböen erwartet. Es fällt aber auch ein Bereich entlang der Ostküste Grönlands mit einer Schliere an hohen Windgeschwindigkeiten ins Auge, die sich nördlich von Island nach Osten ausbreitet (siehe weißer Kasten). Bei diesen Winden handelt es sich um katabatische Fallwinde entlang der Ostküste (Griechisch: katabatikos - herunterfließend). Man kann sich das recht einfach vorstellen: Über Grönland lagert eiskalte Festlandsluft, die nur einen Grund benötigt, um am Ostrand von Grönland dank ihrer höheren Dichte und der Gravitation folgend zum Meer herunterzufallen und durch der daraus resultierende Beschleunigung an Geschwindigkeit zuzulegen. Solch einen Grund liefert der fallende Luftdruck vor der Ostküste Grönlands, sodass die Festlandsluft regelrecht zum Meer gesogen wird und durch die komplexe Orografie lokal extreme Windgeschwindigkeiten auftreten können. Dieser Fallwind ist unter dem Namen "Piteraq" bekannt und bedeutet im Grönländischen "das, was einen überfällt". Der Name zeigt bereits, dass dieser Wind urplötzlich und mit großer Gewalt über die Küstenbereiche hereinbrechen kann.
Der eingezeichnete hellblaue Pfeil zeigt die Zugbahn eines Sturmtiefs, das am 6. Februar 1970 für den bisher stärksten beobachteten Piteraq verantwortlich war, wobei ein Windmesser vor Ort bei unglaublichen 252 km/h zerstört wurde. Die eigentlichen Windgeschwindigkeiten dürften noch viel höher gelegen haben. Der orange Pfeil zeigt hingegen ein Sturmtief am 20. September 2003, der einen Piteraq im Herbst auslöste. Der dadurch aufgewirbelte Schnee war in dem zu dieser Jahreszeit noch vorhandenen Tageslicht und somit auch auf Satellitenbildern sehr schön zu erkennen (siehe Bild 3).
Das aktuelle Tief DONALD entwickelte sich im Vergleich zu den eingezeichneten früheren Sturmtiefzugbahnen nördlicher. Damit fiel der Luftdruck vor der zentralen Ostküste Grönlands weniger stark, sodass kein rekordverdächtiger Piteraq auftreten konnte. Dennoch zeigte ICON Windspitzen von mehr als 200 km/h, was auch vom Dänischen Meteorologischen Institut (DMI) mit Windspitzenvorhersagen von örtlich mehr als 230 km/h bestätigt wurde. Da der dänische Wetterdienst mittlerweile dort, wo der Piteraq wiederholt auftritt, das Wettermodell "Harmonie-TAS" mit einer horizontalen Auflösung von 750 m verwendet, können die Piteraq-Ereignisse und die in diesem Zusammenhang zu erwartenden Maximalwinde immer besser vorhergesagt werden.
DONALD zog in den Folgetagen weiter nach Osten und peitschte über der südlichen Grönlandsee und dem Nordteil des Europäischen Nordmeeres gewaltige Wellen auf. Die Vorhersagemodelle reagierten darauf mit signifikanten Wellenhöhen von mehr als 14 m, mit einzelnen Wellenspitzen von mehr als 25 m (Erklärung siehe Link unten)! Wehe dem, der bei diesen Bedingungen auf hoher See unterwegs war.
Das Tief schwächte sich dann am vergangenen Wochenende sukzessive ab, nistete sich über Nordskandinavien ein und sorgte als Gegenpart zum ausgeglichenen und beständigen Azorenhoch ANGELA für die unbeständige Nordwestwindwetterlage in Deutschland, die wiederum die heftigen Schneefälle im Alpenraum weiter forcierte. Man kann nur froh sein, dass sich der cholerische DONALD größtenteils über den Weiten des Meeres ausgetobt hat!
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.01.2019
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