Derzeit dringt kalte Luft erneut weit nach Süden und Südosten vor und verursacht bedingt durch starke Luftdruckgegensätze und zusätzliche Effekte Orkanböen über der Ägäis.
Vor zwei Tagen (am 04.01.2020) hat Deutschland einen Streifschuss polarer Luftmassen im Norden und Nordosten abbekommen. Dabei wurden im Ostseeumfeld kurzzeitig Böen der Stärke 10 bis 11 (95 bis rund 105 km/h) registriert, bei Gewittern mit Graupel und Hagel im Landesinneren in Mecklenburg-Vorpommern teilweise noch Böen der Stärke 9 bis 10 (75 bis rund 90 km/h).
Diese Kaltluft hat nun am Rande eines Hochdruckgebietes, das allmählich in Richtung Südosteuropa zieht, das Mittelmeer erreicht. Als Ergebnis hat sich an der Kaltfront im Zusammenspiel mit wärmerer Mittelmeerluft westlich der Türkei ein Tiefdruckgebiet gebildet, welches sich aktuell noch weiter verstärkt. Damit einher gehen einerseits vorderseitig der Kaltfront teils kräftige gewittrige Niederschläge in der südlichen Türkei und auf Zypern. Weiter nördlich und nordwestlich gehen schauerartige Niederschläge teils als Schnee oder Graupel nieder, in der Türkei fällt in höheren Lagen der Mitte und des Nordens durchweg Schnee in größeren Mengen. Andererseits verstärken sich die Luftdruckgegensätze zwischen dem Hoch, das zum Balkan zieht und eben diesem Tief, das nur langsam weiter in Richtung östliches Mittelmeer zieht. Diese enormen Luftdruckgegensätze resultieren einerseits aus großen horizontalen
Temperaturunterschieden sowohl in Bodennähe als auch in höheren Luftschichten. Zur Verdeutlichung nur mal aktuelle Messwerte der Lufttemperatur in 2 m Höhe: in Nordwestgriechenland melden Stationen aktuell bereits um -1 Grad, während es an der westlichen griechischen Ägäis-Küste in weniger als 200 km Entfernung noch +6 bis +7 Grad sind. Das führt gerade in einem Bereich vom südlichen Bulgarien, Nordgriechenland, dem Bosporus über die Westtürkei und die Ägäis bis nach Kreta zu einer deutlichen Windverschärfung. Über der Ägäis, wo die Wassertemperatur derzeit 16 Grad (nördliche Ägäis) bis 19 Grad (südliche Ägäis) beträgt, kommt außer der geringeren Reibung der bodennahen Luftschichten über der offenen See im Vergleich zur Landoberfläche ein weiterer Effekt hinzu, der die Windböen zusätzlich anfacht. Durch die Temperaturunterschiede zwischen Meeresoberfläche und in etwa 1500 m Höhe (dort sinkt die Lufttemperatur auf etwas unter 0 Grad ab) bekommen wir einen signifikanten vertikalen Temperaturgradienten, der zu verstärkten Vertikalbewegungen (Aufsteigen der wärmeren Luft über dem Meer und Absinken kälterer Luft aus der Höhe) führt. Damit sind die Voraussetzungen gegeben für ein verstärktes Heruntermischen des ohnehin sehr starken Höhenwindes.
Dabei treten aktuell in den genannten Regionen bereits Sturmböen und einzelne schwere Sturmböen bis rund 100 km/h, speziell auf einigen Inseln der Ägäis auf (Bft 10, siehe Abbildung).
Laut Prognosen hochauflösender Wettermodelle sollen heute (06.01.2020) und in etwas abgeschwächter Form auch morgen (07.01.2020) noch über der Ägäis Orkanböen zwischen 130 und 160 km/h auftreten. Das gilt dann in ähnlicher Lesart für zahlreiche Inseln in der Ägäis, wo immerhin noch orkanartige Böen und einzelne Orkanböen um 120 km/h gerechnet werden. Damit einher gehen auch Wellenhöhen von 5 bis zu 7 m (siehe auch Prognosen des griechischen Wetterdienstes hier: http://www.emy.gr/emy/en/navigation/naftilia_prognostikoi_xartes_ipso s_kimatos?date=2020-01-05&valid=2020-01-06%2012:00:00®ion=Greece2
).
Für die übrigen angesprochenen Regionen (siehe oben) werden ebenso teils schwere Sturmböen um 95 km/h simuliert, bei stärkeren Schauern sind auch dort orkanartige Böen vor allem in küstennahen Bereichen zu erwarten.
Uns erwartet also Alles in Allem wettertechnisch so einiges in Südosteuropa. Entsprechende Warnungen des griechischen Wetterdienstes sind bereits ausgegeben und können hier eingesehen werden: http://www.emy.gr/emy/en/warning/gale_html.
Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.01.2020
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