Festgefroren in der Arktis (Teil 3)

Ein ganzes Jahr ist das Forschungsschiff "Polarstern" an einer Eisscholle festgefroren und driftet durch die Arktis. Heute erfahren Sie mehr über den logistischen und personellen Aufwand der MOSAiC-Expedition und über die Rolle des DWD auf der Polarstern.

In den Themen des Tages vom 17. und 29. Dezember 2019 haben wir bereits über die MOSAiC-Expedition ("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate", "Multidisziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas") berichtet. Ziel der umfassenden Messungen dieser einjährigen Expedition ist es, das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis und Ozeanströmungen sowie die regionalen und globalen Folgen des arktischen Klimawandels besser zu verstehen (siehe Teil 1). Dies wird schlussendlich zu genaueren Wetter- und Klimaprognosen führen. Die MOSAiC-Expedition macht sich die sogenannte Eisdrift zu Nutze, die es ermöglicht, auch im Winter in den mit Meereis bedeckten direkten Polbereich nördlich des 87. Breitengrades zu gelangen (Teil 2). Festgefroren an einer mächtigen Eisscholle driftet die Polarstern allein durch die Kraft der Natur täglich mehrere Kilometer durch die Zentralarktis.


Die bisher größte Forschungsexpedition in dieser Region erfordert einen enormen logistischen und personellen Aufwand. Innerhalb des Jahres werden in sechs Fahrtabschnitten insgesamt etwa 600 Menschen in der zentralen Arktis tätig sein. Darunter befinden sich Wissenschaftler aus über 80 Forschungsinstituten und Staatsunternehmen aus 19 Ländern sowie eine wechselnde Schiffsbesatzung, Piloten, Köche und Ärzte. Zusätzlich zur Polarstern sind weitere vier Eisbrecher im Einsatz, die gut koordiniert immer zum richtigen Zeitpunkt den Nachschub an Treibstoff und Lebensmitteln sicherstellen. Zudem ermöglichen sie die Schichtwechsel der Teilnehmer der Expedition.


Um die Polarstern herum wurde im Umkreis von bis zu 50 Kilometern ein umfangreiches Forschungscamp auf dem Meereis errichtet. Einige dieser Stationen werden regelmäßig mit Helikoptern von der Polarstern aus besucht. Die Helikopter erlauben auch die Evakuierung von Menschen aus der Arktis. Es existiert hierzu ein Notfallplan für medizinische Notfälle. Kleinere chirurgische Eingriffe können allerdings sogar von einem kompetenten Arzt an Bord der Polarstern durchgeführt werden. Zudem sind während der Messkampagne mehrere Forschungsflugzeuge im Einsatz, von denen einige auf einer Eislandebahn neben der Polarstern landen können. Im März und April werden beispielsweise die deutschen Forschungsflugzeuge "Polar 5" und "Polar 6" die Messungen der Expedition großflächig ergänzen. Außerhalb der Polarnacht können auf der Eislandebahn auch Versorgungsflugzeuge landen, die (zusätzlich zu den Eisbrechern) für den Austausch von Expeditionsmitgliedern, Material und Lebensmitteln dienen. Die Flugzeuge und Helikopter können vor Ort betankt werden, was ihnen ermöglicht, für längere Zeit in der Zentralarktis messen zu können. Auf den Inseln vor der sibirischen Küste wurden zudem Treibstoffdepots eingerichtet.


Allein dieser kleine Einblick verdeutlicht, dass eine derartige Messkampagne akribisch vorbereitet und geplant werden muss. Noch nie zuvor wurde für eine Expedition in der Arktis ein derart immenser logistischer Aufwand betrieben. Sowohl der gleichzeitige Einsatz von vier Eisbrechern als auch die Anzahl von Forschungsflügen in dieser wahrlich extremen Region der Erde ist bisher einzigartig.


Auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) ist Teil dieser Expedition. Vier Meteorologen/innen und drei Wetterfunktechniker wechseln sich auf den sechs Abschnitten ab. Der Bordmeteorologe erstellt unter anderem mehrmals täglich schriftliche Wettervorhersagen und Flugwetterberichte und ist der direkte Ansprechpartner für alle Fragen rund ums Wetter (siehe hierzu auch das Thema des Tages vom 5. Januar 2020). Er steht im ständigen Kontakt mit der Schiffsführung, den Wissenschaftlern an Land und den Piloten der Helikopter und Flugzeuge, um so zur Sicherung und Effizienz der Forschungsvorhaben beizutragen. Der Wetterfunktechniker versorgt den Meteorologen mit Wetterdaten, wartet und enteist die meteorologischen Messgeräte an der Bordwetterwarte und lässt täglich Radiosonden aufsteigen, die der Meteorologe für seine Flugwettervorhersage auswertet. Etwa von Mitte Februar bis Anfang April befindet sich ein Meteorologe aus der Vorhersage- und Beratungszentrale des DWD auf der Polarstern. Er wird sicherlich im Anschluss an dieser Stelle über seine Arbeit und Erfahrungen berichten.


Neben diesen rein materiellen und personellen Rahmenbedingungen sind zuletzt die psychischen Belastungen der Forschungsteilnehmer nicht zu unterschätzen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen monatelang bei eisiger Kälte in der Arktis fest, weit und breit nichts als Eis und fernab von Familie und Freunden. Während der Polarnacht von Ende Oktober bis fast Ende Februar kommt noch eine absolute Dunkelheit hinzu. Für die meisten der Teilnehmer ist dies eine ganz neue psychologische Erfahrung. Daher ist es wichtig, dass das Team an Bord die ganze Zeit eine gute Stimmung behält. Schon kleinste Details wie die Kochkünste des Küchenpersonals oder ein seltenes kurzes Telefonat per Funktelefon mit der Familie weiß man unter solchen Voraussetzungen besonders zu schätzen. Der Unmut mancher Daheimgebliebenen über wenig Sonne in der oft trüben Winterzeit rückt damit in ein ganz anderes Licht.


Dr. rer. net. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.01.2020

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