Windscherung: Gefahr für den Luftverkehr

Turbulenzen während des Fluges - für jeden Reisenden unangenehm. Windscherungen während der Start- und Landephase eines Fluges können sogar eine ernste Gefahr darstellen. Was Windscherungen sind und welche Auswirkungen für die Luftfahrt hat, klären wir im heutigen Thema des Tages.


Unter dem Begriff Windscherung versteht man eine Änderung der Windgeschwindigkeit oder Windrichtung über eine relativ kurze Distanz in der Atmosphäre. Je geringer die Distanz ist, über welche der Richtungs- oder Geschwindigkeitswechsel auftritt, desto stärker ist die Scherung. Für ein Luftfahrzeug sind insbesondere die Low-Level Windscherungen (also in niedrigen Höhen über dem Erdboden) entscheidend. Windscherungen sind regelmäßig mit Turbulenzen verbunden. Das führt im einfacheren Fall bloß zu einem unruhigen Flug, gegebenenfalls aber auch zu ernsten Problemen und Gefahren während der Start- und Landephase. So können bei einem in der Luft befindlichen Flugzeug Windscherungen und Turbulenzen zu strukturellen Überlastungen führen und ein heftiges Durchsacken oder Hochsteigen des Flugzeugs bewirken.

Low-Level Windscherungen beruhen auf Änderungen der vertikalen und horizontalen Komponente des räumlichen Windvektors (siehe Lexikon: https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=10334 6&lv2=102936&lv3=636284), so dass man auch in horizontale und vertikale Windscherungen unterscheidet. Horizontale Windscherungen beeinflussen ein Luftfahrzeug wesentlich stärker als vertikale, da es bei Start oder Landung horizontal eine größere Strecke zurücklegt als in vertikaler Richtung und deshalb viel schneller unter andere Windeinflüsse geraten kann.

Unter horizontaler Windscherung versteht man die Änderung der Windgeschwindigkeit und/oder -richtung in einem bestimmten horizontalen Abstand. Diese Scherungen treten beispielsweise häufig in der Umgebung von kräftigen Gewittern auf. Die aus einem Gewitter herabstürzende Kaltluft breitet sich dabei in Erdbodennähe horizontal in allen Richtungen aus und kann starke Windböen verursachen. Die Gewitterböe ist umso heftiger, je größer der Temperaturunterschied zwischen der ausfallenden Kaltluft und der Umgebungsluft ausfällt. Oberhalb der Kaltluft strömt warme Luft aus der entgegengesetzten Richtung in die Gewitterzelle ein. Besonders gefährlich sind sogenannte "Downbursts", die je nach Heftigkeit bzw. zeitlicher und räumlicher Ausdehnung als Macro- oder Microburst bezeichnet werden. Microbursts können besonders starke horizontale Windscherungen verursachen. Beim Durchfliegen eines Microbursts zwischen Gewitterzelle und Landebahn kann eine totale Windrichtungsänderung stattfinden. Die plötzliche Verringerung des Gegenwindes bewirkt eine Auftriebsabnahme, so dass das Flugzeug an Höhe verliert, wenn der Pilot nicht korrigierend eingreift.

Horizontale Windscherungen entstehen ebenfalls durch Störungen und Verwirbelungen der bodennahen Luftströmung aufgrund örtlicher Hindernisse wie Gebirge oder Hügel aber auch durch große Gebäude wie beispielsweise Flugzeughangars. Darüber hinaus werden in der Umgebung von Bodenfronten und deren zugehörigen räumlich breiter gefassten Frontalzonen (Luftmassengrenzen) teils starke horizontale Windscherungen beobachtet. Immer dann, wenn ein Flugzeug eine Frontalzone durchquert, wird es Scherungen antreffen. Geschieht dies bodennah und sind diese stark ausgeprägt, können die Scherungen eine mögliche Gefahr für das Luftfahrzeug bedeuten. Winterliche Warmfronten mit markanten Luftmassengegensätzen gelten dabei als besonders scherungsträchtig.

Im Bereich einer 2 - 4 km langen Start- und Landebahn sind horizontale Windrichtungs- und Geschwindigkeitsänderungen von mehr als 10 Knoten durchaus nicht ungewöhnlich. Horizontale Windscherungen treten nicht alleine auf, sondern sie sind meist mit vertikaler Scherung und Turbulenz verbunden.

Die Änderung der durchschnittlichen horizontalen Windgeschwindigkeit und -richtung mit der Höhe wird als vertikale Windscherung bezeichnet. Die Mehrzahl der Fälle mit starker vertikaler Low-Level Windscherung treten bei stabilen atmosphärischen Bedingungen auf. Das bedeutet, dass starke vertikale Scherungen meist nachts und/oder in Verbindung mit markant ausgeprägten Inversionen oder sogenannten Low-Level Jets (ein vertikal eng begrenztes Windmaximum in bodennahen Luftschichten) beobachtet wurden.
Die vertikale Windscherung ist im Allgemeinen von geringerer Bedeutung, da die Scherungswerte üblicherweise nicht sehr groß werden.

Wie bereits eingangs erwähnt haben Windscherungen im Landeanflug oder im Steigflug den stärksten Einfluss auf Luftfahrzeuge, da diese sich in beiden Fällen mit reduzierter Geschwindigkeit bewegen. In der Luftfahrt wird die Windscherung aufgrund des Gewinnes oder Verlustes der Fluggeschwindigkeit als negative und positive Windscherung bezeichnet. So kann eine negative Windscherung im Landeanflug unvermittelt einen Auftriebsverlust (eine Zunahme der Rückenwindkomponente oder Abnahme der Gegenwindkomponente) mit einem plötzlichen Abfall der Geschwindigkeit der anströmenden Luft bewirken, so dass ein sofortiges Durchstarten mit voller Triebwerksleistung erforderlich wird. Eine positive Windscherung hingegen stellt keine unmittelbare Gefahr für das Flugzeug dar, da ein zusätzlicher Auftrieb durch die Zunahme der Gegenwindkomponente oder Abnahme der Rückenwindkomponente erreicht wird. Gefährlich wird es jedoch, wenn nach einer positiven Windscherung die Leistung reduziert wird und es dann zu einer negativen Windscherung mit einem Wegfall der vorherigen zusätzlichen Gegenwindkomponente kommt. Windscherungen müssen daher rechtzeitig erkannt werden, um Flugunfälle zu vermeiden.


M.Sc. Meteorologe Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.02.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst