Nach Orkan "Sabine" bescherte uns Orkan "Victoria" bis zum heutigen Montagmorgen eine weitere Sturmlage. Zwar fiel Letztere deutlich schwächer aus, dennoch besaß "Victoria" drei erwähnenswerte Besonderheiten.
Tief "Victoria" sorgte am gestrigen Sonntag und in der Nacht zum Montag für eine weitere Sturmlage in Deutschland. Diese war jedoch kein Vergleich zu Tief "Sabine", die vor genau einer Woche in Deutschland wütete. "Victorias" Winde waren in vielen Teilen Deutschlands etwa 2 bis 3 Windstärken schwächer, der Südosten blieb mit Ausnahme höherer Berglagen sogar gänzlich verschont. Einzig der exponierte Brocken auf 1134 Metern Höhe brachte es erneut auf volle Orkanstärke mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 172 km/h (gemessen am gestrigen Sonntag, 16.02.2020, um 19 Uhr MEZ).
Nun sind Tiefdruckgebiete über dem Nordatlantik keine Seltenheit. Gerade wenn sich eine zyklonale Westwetterlage in Mitteleuropa einstellt, wie wir sie diesen Winter fortwährend und auch aktuell erleben (siehe auch Thema des Tages unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/2/15.html), rauscht ein Tief nach dem anderen über Nord- bzw. Mitteleuropa hinweg.
Schaut man sich jedoch die Geschichte von Tief "Victoria" einmal genauer an, so fallen drei Besonderheiten auf:
1. Um ein Haar hätte "Victoria" ihrem Namen alle Ehre gemacht. Ihr Name, der seinen Ursprung im Lateinischen besitzt, bedeutet nichts anderes als "die Siegreiche". "Victoria" war den Vorhersagen nach nämlich rekordverdächtig tief. Denn Tiefdruckgebiete mit einem Kerndruck von unter 930 hPa (Hektopascal) im Bereich des Nordatlantiks sind recht selten. Am Samstagabend erreicht "Victoria" schließlich einen Kerndruck nahe 920 hPa und liegt somit knapp hinter den Top 3 der außertropischen Stürme mit dem niedrigsten Kerndruck im Nordatlantik.
Die Liste der Spitzenreiter wird von Orkan "Braer" angeführt. Dieser erreichte am 10. Januar 1993 im Seegebiet zwischen Island und Schottland einen geschätzten Kerndruck von 914 hPa und stellt damit das kräftigste außertropische Tief dar, das jemals im Nordatlantik beobachtet werden konnte. Seinen Namen erhielt das Tief tragischerweise erst im Nachgang. Bei einem vorangegangenen Sturm lief der Öltanker "Braer" bei den Shetlandinseln auf Land, konnte jedoch aufgrund der stürmischen Witterung nicht geborgen werden. Der Orkan "Braer" zerlegte den Tanker schließlich in Stücke, wodurch rund 85.000 Tonnen Rohöl großflächig in die aufgewühlte Nordsee gelangten und dort eine verheerende Naturkatastrophe auslösten.
Platz 2 geht an einen Orkan, der sich Mitte Dezember im Jahr 1986 ereignete. Dabei wurde südöstlich von Grönland ein Druck von 920,2 hPa auf einem Schiff gemessen. Den Kerndruck schätzt man auf etwa 912 bis 916 hPa.
Bei Platz 3 gehen die Meinungen jedoch auseinander: Sowohl an Heiligabend 1989 südwestlich von Island als auch am 2. Dezember 1929 nordwestlich von Schottland erreichten Tiefdruckgebiete jeweils einen Druck von knapp unter oder um 920 hPa. Und hier reiht sich nun auch "Victoria", die in Großbritannien auch als "Dennis" bekannt ist, ein.
2. Am Samstagnachmittag erweckte "Victoria" den Eindruck, unmittelbar vor Island anzuhalten, um einen kleinen Tanz mit einem weiteren Tief namens "Uta" aufzuführen. Dieses "Tänzchen" hat in meteorologischen Kreisen sogar einen Namen: Man spricht vom "Fujiwhara"-Effekt, der häufig aber nicht ausschließlich bei Wirbelstürmen beobachtet wird. In diesem Fall konnte man diesen auch bei sogenannten außertropischen Tiefdruckgebieten beobachten. Dabei nähern sich die beiden Tiefs einander an und beeinflussen sich fortan gegenseitig, sodass die Zentren der Stürme jeweils um einen gemeinsamen Punkt rotieren, der auf einer gedachten Linie zwischen den beiden Systemen liegt. Gleichzeitig ziehen sich die beiden Tiefs an und bewegen sich auf einer Spiralbahn um diesen Drehpunkt, bis es schließlich zu einer Verschmelzung der beiden kommt. Eine Animation des amerikanischen Wettermodells dazu ist unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/2/17.html zu finden.
3. Einen Rekord stellte "Victoria" aber doch noch auf: In der nach Deutschland geführten maritimen Luft aus subtropischen Breiten konnten am gestrigen Sonntag ungewöhnlich milde Temperaturen verzeichnet werden. Dabei wurde auch der deutschlandweite Dekadenrekord geknackt (2. Februardekade vom 11. bis 20. Februar). Bisher galt die Wetterstation in Freiburg (BaWü) mit 21,1 Grad Celsius, gemessen am 15.02.1958, als Rekordhalter. Neuer Spitzenreiter in der zweiten Februardekade ist nun Müllheim (BaWü) mit 21,5 Grad.
Aus meteorologischer Sicht war "Victoria" also durchaus sehr spannend, auch wenn sich die Auswirkungen auf Deutschland (glücklicherweise) in Grenzen hielten.
Wie geht es nun weiter mit "Victoria"?
Heute erstreckt sich das Tief mit mehreren Zentren von Island über das Europäische Nordmeer und Norwegen bis zur Barentssee und zieht in der Folge in Richtung Sewernaja Semlja Inseln ins Nordpolarmeer ab. Dadurch schwächt sich der Einfluss auf Deutschland weiter ab und wir gelangen zunehmend in eine stramme nordwestliche Strömung, mit welcher maritime Kaltluft nach Deutschland einfließt. Konkret bedeutet das: In den kommenden Tagen gehen die Höchstwerte wieder etwas zurück, wobei es aber weiterhin für die Jahreszeit zu mild bleibt. Zudem gestaltet sich das Wetter wechselhaft, dabei kehrt im Bergland der Winter zurück. Zeitweise windig oder stürmisch ist es vor allem noch im Norden, in Teilen der Mitte sowie im höheren Bergland.
MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.02.2020
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