Auf der MOSAiC-Expedition wird seit fast 8 Monaten das Klimasystem der zentralen Arktis erkundet. Die Corona-Pandemie stellt dieses Vorhaben aber vor große Herausforderungen.
Im vergangenen Dezember und Januar haben wir in der 3-teiligen Reihe "Festgefroren in der Arktis" die MOSAiC-Expedition ("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate") vorgestellt (zum Nachlesen sind die Beiträge am Ende des Tagesthemas verlinkt). Kurz zusammengefasst ist das Ziel dieser einjährigen Expedition, das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis und Ozeanströmungen sowie die regionalen und globalen Folgen des arktischen Klimawandels besser zu verstehen (siehe Teil 1). Die Expedition macht sich die Transpolardrift (Meereisströmung von Sibirien nach Grönland, siehe Teil 2) zu Nutze, die es ermöglichte, auch im Winter in die eisbedeckte Polregion zu gelangen. Festgefroren an einer mächtigen Eisscholle driftete das Forschungsschiff "Polarstern" seit Oktober allein mit der Kraft der Natur täglich mehrere Kilometer durch die Zentralarktis.
Im 3. Teil haben wir u.a. den immensen logistischen Aufwand sowie die vorab präzise durchgeplanten Abläufe der Expedition beschrieben. Doch seitdem ist Einiges passiert...!
Als die Wissenschaftler/innen und Crewmitglieder des dritten Fahrtabschnitts am 27. Januar in Tromsö ihre Fahrt mit dem Eisbrecher Richtung Polarstern antraten, ahnten sie nicht, welch lange und ungewisse Zeit sie im arktischen Eis verbringen würden. Damals glaubte man noch, dass das vorherige Team 2 - begleitet von der permanenten Dunkelheit der Polarnacht - den strapaziösesten Teil der Expedition durchleben würde. Doch dann wirbelte die weltweite Corona-Pandemie die Abläufe der MOSAiC-Expedition gehörig durcheinander. Für fast jede Widrigkeit existierten Alternativ- und Notfallpläne, eine Pandemie dieses Ausmaßes konnte man allerdings nicht voraussehen.
Internationale Grenzschließungen führten mitunter dazu, dass der für Anfang April geplante Personalaustausch nicht stattfinden konnte. Obwohl die Teilnehmer an Bord der Polarstern wussten, dass es das SARS-CoV-2-Virus nie zu ihnen in die Arktis schaffen würde, stand für sie eine ungewisse Zeit im Eis bevor. Wie unser
Vorhersage-Meteorologe Robert Hausen die körperlich und mental zunehmend kräfteraubende Situation auf der Polarstern erlebt(e), können Sie übrigens in einem Interview vom 28. April nachlesen (siehe Link unten).
Man musste schließlich die geplanten sechs Fahrtabschnitte auf fünf verringern, was für Team 3 etwa die doppelte Verweildauer im Eis zur Folge hat. Die Teilnehmer des vierten Fahrtabschnitts reisten derweil nach Bremerhaven, wo sie sich zunächst isoliert in einem extra angemieteten Hotel einer 17-tägigen Quarantäne und mehreren Corona-Tests unterziehen mussten. Ein Einschleppen des Virus muss nämlich unter allen Umständen verhindert werden, da dies auf der Polarstern ohne ausreichende Isolierstationen verheerende Folgen haben würde.
Da noch die Tatsache dazu kam, dass das in diesem Jahr sehr dynamische Eis den Bau einer stabilen Landebahn verhinderte, konnte der Personalwechsel nicht per Flugzeug erfolgen. Deshalb machten sich am 18. Mai die 56 Wissenschaftler/innen, 37 Crewmitglieder und 14 Tonnen Verpflegung mit den beiden Schiffen "Sonne" und "Maria S. Merian" auf den Weg zur Eisgrenze nahe Spitzbergen. Gleichzeitig mussten die Forscher/innen von Team 3 einen Großteil ihrer Messgeräte abbauen und das Driftexperiment unterbrechen. Erstmals seit Anfang Oktober verließ vor etwa zwei Wochen die Polarstern ihre Eisscholle und kämpft sich seitdem mit der Kraft der Maschinen Richtung Süden. Doch die Fahrt durch zweijähriges Meereis ist sehr beschwerlich und dauert länger als erhofft - eine Situation, die den Teilnehmern schon von der Anreise bekannt war, die ebenfalls zwei Wochen länger als geplant dauerte. Vorübergehend mussten sogar die Maschinen abgestellt werden, da das dicke Eis ein Durchkommen nahezu unmöglich machte.
In einigen Tagen wird die Polarstern in einen Fjord vor Spitzbergen einfahren, wo sie vom neuen Team bereits sehnlichst erwartet wird. Nach dem Personal- und Materialwechsel fährt die Polarstern mit dem neuen Team wieder zurück zum verlassenen Forschungscamp. Da in diesem Frühjahr die Eisdrift überdurchschnittlich schnell ablief, hat man sich dazu entschlossen, die dort noch übrig gebliebenen Messgeräte abzubauen, um eine weiter nördlich gelegene Eisscholle zu "besiedeln". Dies ermöglicht den Wissenschaftlern der letzten beiden Fahrtabschnitte, wie geplant bis in den Herbst hinein im Packeis zu forschen. Ihnen stehen hoffentlich spannende und erlebnisreiche Wochen in der Arktis bevor. Es bleibt ihnen zu wünschen, dass ihre Zeit im Eis planmäßig verläuft, sodass die bisher einzigartige Forschungsexpedition im Herbst ein gutes und erfolgreiches Ende nehmen kann.
Währenddessen werden in etwa drei Wochen endlich die Wissenschaftler und Crewmitglieder des dritten Fahrtabschnitts in Bremerhaven einlaufen. Damit kommen auch sie in der "neuen Normalität" der europäischen Lebensweise an. Während der Zeit des "Lockdowns" verbrachten sie allesamt auf dem Schiff mitten im arktischen Meereis - fernab jeglicher Zivilisation. Nur aus den täglichen TV-Nachrichten erfuhren sie von den weitreichenden Folgen der Corona-Pandemie, von steigenden Infektionszahlen und Toten, von verwaisten Innenstädten durch Ausgangsbeschränkungen und von "Social distancing". Nach einem monatelangen Aufenthalt in ihrer entschleunigten und kleinen Welt müssten sich die Expeditionsteilnehmer ohnehin erst wieder an die lebendige Zivilisation gewöhnen. Nun müssen sie sich zusätzlich in einem öffentlichen Leben mit Abstandsregeln und Schutzmasken zurechtfinden. Dafür wird die Freude, ihre Familien und Freunde wieder zu sehen, umso größer sein.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.05.2020
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