Während es auf dem Festland brütend heiß ist, weht einem an den Küsten ein kühler Wind ins Gesicht und man kommt dort selten ins Schwitzen. Die Ursache hierfür ist die Land-Seewind-Zirkulation, die im heutigen Tagesthema erklärt wird.
Jeder Nord- und Ostseeurlauber kennt es - Während an heißen Sommertagen die zuhause Gebliebenen schwitzen, ist zur gleichen Zeit bei Temperaturen um 20 Grad im schattigen Strandkorb von Hitze keine Spur und die weniger Hartgesottenen greifen im kühlen Wind am Strand sogar gerne zum Langarmshirt. Doch warum weht am Strand und auf den Inseln allzu oft dieser kühle, vom Meer kommende Wind? Der Grund liegt im Seewind, einem Teil der Land-Seewind-Zirkulation, die wir im heutigen Tagesthema näher erläutern.
Wind entsteht, um Druckunterschiede auszugleichen. Nehmen wir als Ausgangsbedingung an, dass am Morgen keine horizontalen Druckunterschiede vorliegen und daher auch kein Wind weht. In Abbildung 1 ist dies durch horizontale Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) dargestellt. Mit der aufgehenden Sonne wird am Vormittag die Landoberfläche und die sich darüber befindende Luft erwärmt, während sich die Wassertemperatur (und die Luft darüber) wegen der größeren Wärmekapazität des Meerwassers kaum ändert. Da wärmere Luft eine geringere Dichte und damit ein größeres Volumen als kältere Luft besitzt, dehnt sich die Luft über Land vertikal aus. Weil sich zwischen zwei Druckflächen weiterhin die gleiche Luftmasse befindet, werden durch die Luftausdehnung die Isobaren gehoben (Abbildung 2). Dadurch entsteht in der Höhe ein horizontaler Druckunterschied. Auf gleichem Höhenniveau (gestrichelte Linien) ist der Luftdruck über dem Land höher als über dem Meer, es entsteht also in der Höhe über dem Land ein kleinräumiges Hoch (H) und über der See ein Tief (T).
Die Atmosphäre ist aber stets bestrebt, derartige Druckunterschiede abzubauen, wodurch in der Höhe eine Ausgleichsströmung vom Land Richtung Meer entsteht (grüner Pfeil in Abb. 2), also vom hohen zum tieferen Luftdruck. Der gleiche Vorgang passiert im Kleinen bei einem aufgepumpten Fahrradschlauch, bei dem man das Ventil öffnet, wodurch die Luft vom hohen Druck im Reifen in die Umgebungsluft entweicht. Diese Ausgleichsströmung transportiert LuftMASSE Richtung Meer. Dadurch sammelt sich über der See die Masse an, die über Land in der Höhe abfließt. Eine Massegewinn in der Luftsäule über dem Meer bedeutet aber auch, dass der Druck, der am Boden auf einem lastet, ansteigt, während durch das Abfließen der Luft der Bodendruck über Land abnimmt. Im Gegensatz zur Höhe entsteht so direkt über dem Meer ein lokales Hoch und über Land ein lokales Tief (Abbildung 3).
Am Boden passiert nun das gleiche wie zuvor in der Höhe. Es kommt eine Ausgleichströmung vom Hoch zum Tief in Gang, also von der See Richtung Land. Diesen Wind bezeichnet man seiner Herkunft nach als "Seewind", der die kühle Meeresluft Richtung Küste transportiert. Abschließend entsteht eine geschlossene Zirkulation, indem über Land aufgrund der in der Höhe abfließenden Luftmasse Luft von unten nachströmt und über der See Luft nach unten absinkt. In der Fachsprache wird diese als thermisch direkte Zirkulation bezeichnet.
In der Nacht drehen sich die Strömungsverhältnisse um. Nach Sonnenuntergang kühlen sich der Erdboden und die darüber liegende Luft stärker ab als über dem Meer. Die kühlere Luft schrumpft und es entsteht in der Höhe über Land ein Tief, sodass als Ausgleichströmung dort die Luft von der See Richtung Land weht. Durch diese im Vergleich zu tagsüber gegensätzlichen Masseumverteilungen bildet sich über dem Boden der sogenannte "Landwind" aus, der Richtung See weht (Abbildung 4). Deshalb bezeichnet man dieses Windsystem als "Land-Seewind-Zirkulation".
Die Land-Seewind-Zirkulation besitzt in unseren Breiten eine horizontale Ausdehnung von 10 bis 20 Kilometern, sodass schon einige Kilometer von den Küsten entfernt kaum mehr eine Abkühlung zu spüren ist. Der Seewind weht meist mit Windstärke 3 bis 4 und tritt an sämtlichen Küstenverläufen auf. Auch an größeren Seen wie dem Bodensee kann man die Land-Seewind-Zirkulation beobachten. So zeigen Beobachtungen, dass der Wind in Friedrichshafen im Sommer morgens am häufigsten aus Nord bis Nordost (also in Richtung See) und nachmittags aus Süd bis Südwest (vom Bodensee kommend) weht.
In der Realität ist die Land-Seewind-Zirkulation natürlich der großräumigen Windströmung überlagert und tritt auf, solange der großräumige Wind schwach und der Himmel nicht durch mächtige Wolkenfelder bedeckt ist. Der Seewind führt in dieser Situation dazu, dass sich der Wind bis zum Nachmittag verstärkt und Richtung Land dreht.
Mit dem heute Gelernten können Sie erklären, dass der Seewind dafür verantwortlich ist, dass es an heißen Sommertagen entlang der Nord- und Ostseeküste und auf den vorgelagerten Inseln am Nachmittag und frühen Abend teils über 10, manchmal sogar bis zu 15 Grad kühler ist als im großen Rest von Deutschland. In Folge des Seewinds bleiben die Temperaturen beispielsweise auf Sylt an den meisten Tagen unter 25 Grad, 30 Grad und mehr bleiben die absolute Ausnahme.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.06.2020
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