Von der Messung der Lufttemperatur

Wenn es um Temperaturwerte oder sogar Temperaturrekorde geht, erreichen uns Meteorologen immer wieder Kommentare, dass die Temperatur im Garten der Familie Mustermann doch eigentlich viel höher war als die offiziell gemessene. Warum kommt es zu solchen Unterschieden bei der Temperaturmessung?


Im aktuellen Spätsommer kommt Deutschland noch einmal richtig ins Schwitzen. Bereits am gestrigen Sonntag, dem 13.09.2020, stiegen die Tageshöchstwerte im Südwesten auf bis zu 30 Grad Celsius. An einigen Stationen wurde die 30-Grad-Marke sogar geknackt. Spitzenreiter war die Wetterstation im rheinland-pfälzischen Kaiserslautern mit 31,5 Grad. Deutlich kühler fiel die Temperatur hingegen im wolkenverhangenen Norden aus. So wurden beispielsweise in Wagersrott in Schleswig-Holstein lediglich 18,6 Grad gemessen.


Allerdings gibt es bei der Veröffentlichung von Temperaturwerten - insbesondere bei Rekorden - auch immer wieder verwunderte Reaktionen aus der Öffentlichkeit. Teilweise weichen diese nämlich recht deutlich von den höheren Temperaturen ab, die Max und Erika Mustermann von ihrem handelsüblichen Thermometer im Garten, an der Hauswand oder im Auto ablesen.


Aber wie kann es zu solch deutlichen Unterschieden kommen? Wie misst man die Temperatur denn überhaupt "richtig"?


Offiziell bestätigte Temperaturwerte in den Datenbanken der weltweiten Wetterdienste müssen an Wetterstationen gemessen worden sein, die international festgelegten Standards entsprechen, um aktuell wie auch in der Vergangenheit global vergleichbar zu sein. Zunächst braucht man einen geeigneten Standort für die Messung. Dabei sollten die Wetterdaten repräsentativ für die Umgebung sein und die Station beispielsweise nicht in einem lokalen ?Kälteloch? liegen. Am besten eignet sich hierfür ein relativ freier Platz mit genügend Abstand zu Gebäuden oder hohem Bewuchs auf einem für die Region natürlichen Untergrund (in der Regel eine kurz gehaltene Grasfläche).

Eine der größten Herausforderungen bei der Temperaturmessung besteht für die Stationsorte sicherlich in der Einhaltung dieser Richtlinien über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hinweg. Denn ein Höchstwert kann nur als solcher anerkannt werden, wenn vergleichbare Temperaturwerte an einem bestimmten Standort aus der Vergangenheit vorliegen.


Gemessen wird die Lufttemperatur immer in zwei Metern Höhe über Grund. Die Messung erfolgt jedoch nicht in der prallen Sonne, sondern abgeschattet mit einem modernen, aus Kunststoff gefertigten, gut ventilierten Lamellen-Strahlungsschutz. Dieser hat an den automatisierten Standorten die sogenannte ?Englische Hütte? ersetzt. Letztere ist eine weiß gestrichene Holzhütte mit Außenwänden aus Lamellen und kommt nur noch an vereinzelt mit Personal besetzten Referenzstationen zum Einsatz.


Zur Messung der Temperatur können verschiedene Thermometer verwendet werden, wobei diese selbstverständlich auch strengen Richtlinien unterliegen und regelmäßig gewartet werden müssen. Die klassischen ?Englischen Hütten? sind meist mit Flüssigkeitsthermometern ausgestattet, die allerdings regelmäßig (mindestens stündlich) von Fachpersonal abgelesen werden müssen. Für die Fernmessung oder den Einsatz in automatischen Messdatenerfassungsanlagen eignen sich die Flüssigkeitsthermometer jedoch nicht. Automatisierte Wetterstationen besitzen daher elektronische Sensoren, welche die Lufttemperatur kontinuierlich aufzeichnen.


Standardmäßig werden die Stationen in regelmäßigen Abständen gewartet, zudem durchlaufen deren Daten eine Qualitätsprüfung. Wird nun an einer Station ein neuer Temperaturrekordwert gemessen, so wird die Anlage vor der offiziellen Bestätigung des Temperaturrekordes noch einmal genau auf ihre korrekte Funktionsweise und die Wahrung der örtlichen Umgebungsbedingungen geprüft. Anschließend geht der Temperaturwert in die global vernetzten Datenbanken ein und kann wie auch alle anderen Messdaten von den Wetterdiensten weltweit abgerufen werden.


Im Vergleich zu gestern legt die Temperatur am heutigen Montag und am morgigen Dienstag noch "eine Schippe drauf": Vor allem in einem breiten Streifen vom Westen und Südwesten bis in den Osten steigen die Temperaturen verbreitet auf Werte über 30 Grad an. Lokal sind in den Flussniederungen des Südwestens sogar bis zu 34 Grad möglich. Der Septemberrekord mit 36,5 Grad, der sowohl am 03. September 1911 an der Sternwarte in Jena (Thüringen) als auch am 19. September 1947 im Bühlertal (Baden-Württemberg) gemessen wurde, sollte damit aber außer Reichweite sein. Das an der geschützten Hauswand angebrachte Thermometer von Max und Erika Mustermann wird in der prallen Nachmittagssonne sicher aber auch Temperaturen jenseits der 34 Grad anzeigen können.


MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.09.2020

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