Im heutigen Thema des Tages wird ein meteorologischer Begriff näher beleuchtet, der zwar kaum mehr gebräuchlich ist, mit dem aber bestimmte Zusammenhänge gut erklärt werden können.
Muss man für die Erstellung einer Wetterprognose unbedingt ein ausgebildeter Meteorologe sein? Natürlich nicht, denn mit einer ausgeprägten Beobachtungsgabe und einem analytischen Verständnis kann im Prinzip jeder bei ausgewählten, ganz bestimmten Wetterlagen die zukünftige Entwicklung vorhersagen. Doch welche Wettersituationen sind dafür prädestiniert?
Voraussetzung dafür sind relativ ruhige und störungsarme, meistens hochdruckgeprägte Wetterlagen. In der Meteorologie verwendet man dafür den Fachbegriff "antizyklonal", das Gegenteil von "zyklonalem",
d.h. tiefdruckbestimmtem Wetter. Bei Hochdrucklagen gibt es in den meisten Fällen nämlich keinen Luftmassenaustausch und außerdem keine wesentlichen meteorologischen "Überraschungen".
Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Wetterlage. Diese ist bestimmt durch ein umfangreiches Hochdruckgebiet, dessen Schwerpunkt sich zunehmend nach Südosteuropa verlagert. Allerdings reicht diese Hochdruckrandlage noch aus, um auch bei uns von einer hochdruckgeprägten Wetterlage zu sprechen. Bei einer solchen störungsarmen Situation wiederholt sich das Wetter von Tag zu Tag mit nur kleinen Abweichungen. Beispielsweise wird sich in den Nächten immer in bestimmten Regionen Nebel oder Hochnebel bilden, der tagsüber ein weitgehend vorhersagbares Auflösungsverhalten aufweist. Die Bewohner von solchen für Nebel- und Hochnebel anfälligen Gebieten (z.B. Bodensee, Donau, Alpenvorland, Täler der Mittelgebirge) wissen das und können basierend auf deren Beobachtungen lokale Vorhersagen mit einer durchaus hohen Trefferwahrscheinlichkeit erstellen. Doch nicht nur der Nebel ist ein "Wiederholungstäter". Auch lokale Windsysteme folgen häufig einem ähnlichen Muster. So bildet sich an den Küsten zu bestimmten Tageszeiten ein Land-See-Wind-Muster heraus und im Bergland kommt es zu einem Berg- und Talwindsystem.
Eine solche durch lokale und regionale Einflüsse bestimmte Wetterlage kann auch als "autochthone Witterung" bezeichnet werden. Der Begriff "autochthon" ist wahrscheinlich vielen aus den Sozialwissenschaften bekannt, denn er wird oft im Zusammenhang mit der Beschreibung von Völkern, Religionen und Sprachen verwendet. Die Bezeichnung stammt aus dem Altgriechischen und kann in etwa mit "einheimisch", "eingeboren" oder "hier entstanden" beschrieben werden. In der Geologie ist beispielsweise ein autochthones Gestein ein solches, das an seinem Fundort auch entstanden ist. In der Meteorologie ist dieser Begriff daher folgerichtig für Wetterverhältnisse verwendbar, die stark regionalen Einflüssen unterliegen und kaum äußere Störungen aufweisen. Es kommt dabei zu definierten Tagesgängen von Temperatur, Luftfeuchte und Strahlung, die die Randbedingungen für die meteorologischen Erscheinungen setzen.
Natürlich gibt es auch den gegensätzlichen Begriff "allochthon", der in etwa mit "fremdbürtig" zu übersetzen ist. Dabei werden nicht durch kleinräumige, sondern durch großräumige Luftströmungen die meteorologischen Pflöcke eingeschlagen. Meistens sind dies "zyklonale", also tiefdruckgeprägte Wetterlagen mit Frontdurchgängen und dem damit verbundenen Luftmassenaustausch. Für den Laien sind diese Wettersituationen im Gegensatz zu den sich wiederholenden Wettervorgängen kaum vorhersagbar. Man benötigt dafür nämlich eine umfassendere Datengrundlage und physikalische/mathematische Prognostik, die mit einfachen Beobachtungen in den meisten Fällen nicht ersetzt werden können.
Die autochthone Witterung bleibt uns vor allem im Südosten und Osten des Landes auch in den nächsten Tagen erhalten. Das Hochdruckgebiet über Osteuropa schwächt sich zwar etwas ab, der Randbereich ragt aber weiterhin nach Mitteleuropa. Etwas anders ist die Situation im Südwesten und Westen Deutschlands, wo zeitweise der Einfluss einer Tiefdruckzone über dem Westen des Kontinents zu spüren ist. Daher ist dort mit generell dichterer Bewölkung und zeitweise auch etwas Regen zu rechnen, während in den anderen Regionen weiterhin die Diskrepanz zwischen den nebligen und sonnigen Gebieten bestehen bleibt. Allerdings ist noch erwähnenswert, dass die Sonne auch dort immer mehr an Raum verlieren wird und zur Wochenmitte nur mehr am höheren Alpenrand für längere Zeit scheinen kann. Selbst solche langsamen meteorologischen Entwicklungen weichen schon deutlich von der reinen Persistenzvorhersage ab und benötigen folgerichtig meteorologische Modelle als prognostische Grundlage.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.11.2020
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