Ein Weihnachtsbaum im Windkanal


Forscher aus Aachen haben untersucht, wie standfest eigentlich Weihnachtsbäume sind. Und fanden dabei überraschenderweise Parallelen zu einem LKW?


In knapp sechs Wochen ist Heiligabend, die ersten Städte haben bereits in den vergangenen Tagen die Innenstädte mit Weihnachtsbeleuchtung dekoriert. Da darf natürlich auch ein großer Weihnachtsbaum nicht fehlen! Ist dieser im heimeligen Wohnzimmer höchstens dem zwischenmenschlichen Gewitter ausgesetzt, so ist er draußen zusätzlich der launischen Natur, dem Wind und Wetter ausgeliefert.

Immer wieder hört man von Unfällen, bei denen die großen Tannenbäume bei Sturm umfallen (so zum Beispiel schon geschehen in Erfurt, Landshut, Usingen oder Aachen). Grund genug also, mal unter kontrollierten Bedingungen zu testen, mit wie viel Gewicht ein Weihnachtsbaum am Boden verankert werden muss, dachten sich Wissenschaftler der Fachhochschule Aachen und stellten eine Nordmanntanne in einen Windkanal. Ein durchaus ungewöhnliches Experiment, denn normalerweise werden in einem Windkanal Versuche aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt- sowie Automobil- und Motorradtechnik durchgeführt; also beispielsweise der Luftwiderstand von Autos oder Flugzeugen untersucht. Ein Tannenbaum hingegen hatte bis dato noch keinen Weg in den Windkanal gefunden. Umso spezieller waren die Vorkehrungen, die für den Versuch getroffen worden: Damit die Tannennadeln nicht überall herumfliegen, wurden sie vorher mit mehreren Dosen Klarlack fixiert.

Die Wissenschaftler testeten Windgeschwindigkeiten von gut 80 km/h (Beaufort 9). Dabei wurde gemessen, welcher Staudruck sich bei unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten aufbaut. Aus diesem Staudruck lässt sich der sogenannte Widerstandsbeiwert (oder auch Strömungswiderstandkoeffizient, cw-Wert) ermitteln. Dieser Wert ist eine dimensionslose aerodynamische Größe zur Angabe des Strömungswiderstandes bei der Umströmung von Körpern.

Das Ergebnis war ganz im Sinne echter "Weihnachtswissenschaft": voller Überraschungen. Der Tannenbaum weist einen Widerstandsbeiwert von etwa 0,8 auf. Sagt Ihnen erstmal nichts? Dann ein kleiner Vergleich: Das entspricht dem Luftwiderstand eines kantigen LKW, der ebenfalls einen cw-Wert von 0,8 hat. Ein modernes Auto liegt hingegen bei 0,3 und ein Pinguin ist mit einem cw-Wert von nur 0,03 besonders "windschnittig".
Mit einem so "schlechten" Ergebnis hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet, bisher war man von einem wesentlich niedrigeren Wert ausgegangen ? und entsprechend geringer sind auch die nötigen Verankerungen der Weihnachtsbäume auf Weihnachtsmärkten bemessen worden.

Das Versuchsobjekt an der Fachhochschule Aachen war zwar nur 1,20 Meter hoch, die Ergebnisse lassen sich aber auf größere Bäume hochskalieren. Ein zehn Meter hoher Baum müsste im konkreten Fall mit zehn bis zwölf Tonnen Gewicht verankert werden, das ist deutlich mehr als bisher angenommen. Natürlich kommt es auch auf den genauen Standort des Weihnachtsbaumes an: Steht er windgeschützt oder in einer Schneise zwischen Häusern, wo der Wind so richtig durchpusten kann?

Auch wenn dieses Jahr einige Weihnachtsmärkte geschlossen bleiben, ist zu hoffen, dass die Weihnachtsbäume ausreichend verankert werden und keine verheerenden Stürme aufziehen. Auch nicht im heimischen Wohnzimmer...


Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2020

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