Wind besitzt ein enormes Schadenspotential und zählt daher zu den gefährlichsten Wettererscheinungen. Aber wodurch werden Sturmschäden eigentlich verursacht?
Heute steht uns mit Sturmtief EUGEN vielerorts ein stürmischer Tag ins Haus. Sicherlich ist der heutige Sturm nicht mit verheerenden Winterstürmen vergleichbar, wahrscheinlich wird er dennoch mancherorts Schäden anrichten. Auch generell verursachen Sturmschäden in Deutschland die meisten Kosten und stellen die größte Unwettergefahr dar. Allein Sturm "Sabine" im Februar vergangenen Jahres kostete den Versicherern in Deutschland 675 Millionen Euro. Neben solchen Winterstürmen können auch sommerliche Gewitter verheerende Schäden anrichten. Nicht selten gehen Gewitter mit Sturmböen einher. Von schweren Gewittern erzeugte Fallböen erreichen mitunter sogar Orkanstärke und können kilometerlange Schneisen der Verwüstung hinterlassen. Die größten volkswirtschaftlichen Schäden verursachen natürlich große Sturm- oder Orkantiefs, was neben den Windgeschwindigkeiten vor allem an der räumlichen Ausdehnung der Sturmfelder liegt. Gewitter hingegen hinterlassen meist nur vergleichsweise kleinräumige Schäden, wobei diese lokal begrenzt durchaus heftiger ausfallen können als bei den stärksten Orkanen der Geschichte. Aber wieso besitzt Wind ein derartiges Zerstörungspotential?
Wind ist nichts anderes als bewegte Luft. Bei ihrer Beschleunigung wird Energie erzeugt, die sogenannte kinetische Energie. Trifft die bewegte Luft nun auf ein starres Hindernis, wirkt auf dieses eine Kraft, die die Energie abbaut. Das Besondere dabei ist, dass die kinetische Energie proportional zum Quadrat der Windgeschwindigkeit zunimmt. Bei einer Verdopplung der Windgeschwindigkeit wird die vierfache, bei einer Verdreifachung sogar die 9-fache kinetische Energie erzeugt usw. Trifft also Luft mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h auf einen Gegenstand, so wird auf diesem die vierfache Kraft ausgeübt wie bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Dies macht hohe Windgeschwindigkeiten so zerstörerisch.
Die soeben beschriebene Krafteinwirkung auf einen Körper nennt man "Windkraft" oder "Winddruck". Dabei ist der Winddruck neben der Windstärke abhängig von der Ausrichtung des angeströmten Gegenstands. Trifft der Wind senkrecht auf ein Hindernis (z.B. eine senkrechte Hauswand), ist der Winddruck größer als bei einem schräg zugewandten Hindernis (z.B. eine Dachschräge). Hält der Gegenstand dem Winddruck nicht mehr stand, kommt es zum Sturmschaden. Auch die Form des angeströmten Körpers hat Einfluss auf den Winddruck. Hält man beispielsweise eine Schüssel in den Wind, dann wirkt auf ihr ein stärkerer Winddruck, wenn der Wind in die Schüssel hineinweht als wenn der Wind von außen auf die Schüssel trifft (Abb. 1). Auf diesem Prinzip basieren auch Schalenkreuzanemometer, also die kleinen Windrädchen, die Windgeschwindigkeiten messen. Der Wind übt einen stärkeren Druck auf die dem Wind zugeneigten Schalen aus als auf die umgedrehten Schalen auf der gegenüberliegenden Seite, wodurch das Rädchen in Rotation versetzt wird. Um Sturmschäden zu vermeiden, besitzen beispielsweise Baukräne eine drehbare Achse, sodass sich der Kran mit dem Wind drehen kann, wodurch die Fläche des Krans, auf den die Windkraft wirkt, minimiert wird. Auch elastische Gegenstände sind weniger anfällig als starre, da sich erstere mit dem Wind bewegen bzw. neigen können. Großflächige Waldschäden sind meist die Folge von Winddruck.
Neben dem Winddruck gibt es noch weitere Effekte, die zu Sturmschäden führen können. Zu nennen ist hauptsächlich die "Sogwirkung an überströmten Flächen". Verantwortlich hierfür ist der sogenannte "Bernoulli-Effekt". Dieses physikalische Gesetz besagt, dass der Luftdruck an überströmten Flächen mit dem Quadrat der Windgeschwindigkeit abnimmt. So entsteht an der Oberfläche des überströmten Körpers ein Unterdruck und es kommt zu einer Sogwirkung. Abgedeckte Dachziegel, Schäden an Flachdächern oder wegfliegende Planen werden meist durch die Sogwirkung des Winds und nicht durch den Winddruck verursacht. Der Unterdruck ist auch dafür verantwortlich, dass einem das Atmen im Gegenwind schwerfällt, dass ein Regenschirm im Wind nach oben umklappt und dass die speziell geformten Tragflächen von Flugzeugen diesem den nötigen Auftrieb verleihen.
Diese Sogwirkung ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Sog von Tornados. Im Inneren des rotierenden Aufwindschlauchs eines Tornados entsteht ebenfalls ein starker Unterdruck, durch dessen Sog alles, was nicht niet- und nagelfest ist, in die Höhe gewirbelt wird. Die Zerstörungskraft des Sogs von Tornados ist entscheidender als dessen Windgeschwindigkeiten.
Zuletzt ist noch der Einfluss der Böigkeit zu nennen. Da der Wind meist nicht mit konstanter Stärke weht, können Wind- und Sturmböen Objekte in Schwingungen versetzen (z.B. schwankende Bäume im Wind). Entspricht die Frequenz von aufeinanderfolgenden Böen in etwa der Eigenfrequenz des Gegenstands, kann es zu einem
Aufschaukelungsprozess (Resonanzkatastrophe) kommen. Diese Böeneinwirkung kann Bäume abknicken oder entwurzeln. In sehr seltenen Fällen kann es sogar zum Einstürzen von Bauwerken kommen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Tacoma-Narrows-Brücke, die 1940 durch ein Zusammenspiel dieses Resonanzeffekts und der oben beschriebenen Sogeinwirkung einstürzte.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.05.2021
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst