Orkantief ZEYNEP (international EUNICE genannt) suchte am gestrigen Freitag und in der vergangenen Nacht zum Samstag größere Gebiete West- und Mitteleuropas heim. Es war ein außergewöhnlich starker Sturm, mit zumindest regional historischer Dimension.
Schon am Mittwoch nahm ZEYNEP ihren Ursprung als kleine "Welle" an der Polarfront über dem zentralen Nordatlantik - zu einem Zeitpunkt, als YLENIA als ausgewachsener Orkan bereits ihr Stelldichein über Westeuropa gab. ZEYNEP profitierte in der Folge von einem gewaltigen Energiereservoir, gespeist aus der Dynamik eines ungewöhnlich starken Jet-Streams (Starkwindfeld in ca. 8 bis 10 km Höhe) und der Wärme der südlich der Polarfront lagernden, sehr feuchten Subtropikluft. Der minimale Luftdruck im Zentrum des Tiefs fiel zwischen Mittwoch- und Freitagabend von rund 1025 Hektopascal auf etwa 965 Hektopascal, also um 30 Hektopascal pro Tag oder mehr als 1 Hektopascal pro Stunde. Damit waren die Bedingungen einer sogenannten "Rapiden Zyklogenese" (Tiefdruckverstärkung oder -entstehung) erfüllt. Mit ordentlich "Rückenwind" des Jet-Streams legte ZEYNEP binnen dieser 3 Tage erstaunliche 4000 Kilometer zurück und erreichte zum Höhepunkt ihres stürmischen Daseins am Freitagvormittag Irland und den Süden Großbritanniens. Von dort aus überquerte sie die Nordsee und Dänemark und zog bis zum heutigen Samstagmorgen bereits bis in die mittlere Baltische See weiter.
Am heftigsten wütete der Orkan über dem Süden und Südwesten Englands und in Wales sowie an den Küsten von Nordfrankreich, Belgien und den Niederlanden. Verbreitet traten dort orkanartige Böen und Orkanböen zwischen 110 und 140 km/h (Bft 11 bis 12) auf, teilweise bis weit in das Binnenland und über einige Stunden hinweg. Auf der Isle of Wight, einer der britischen Südküste vorgelagerten Insel, wurde eine Böe von 196 km/h gemessen und damit ein neuer englischer Rekord aufgestellt. Auch wenn es sich dabei um eine extrem exponierte Station handelt und in den anderen Ländern ebenfalls nur punktuell neue Rekordwerte für die höchste Windgeschwindigkeit erreicht wurden, dürfte ZEYNEP in diesen Regionen zu den stärksten Stürmen der jüngeren Vergangenheit angehören.
Und wie sah es in Deutschland aus? Die Tabelle auf https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/2/19.html zeigt eine Auflistung der stärksten Böen, die im Zuge des Orkans bei uns zwischen Freitagnachmittag und Samstagmorgen registriert wurden. Vor allem Stationen im Norden Deutschlands waren am heftigsten betroffen. Nicht selten lagen die maximalen Windgeschwindigkeiten zwischen 120 und 130, vor allem an der Nordsee stellenweise bei über 140 km/h. Während am Leuchtturm Alte Weser (Niedersachsen) mit 162 km/h eventuell ein neuer Rekord aufgestellt worden sein könnte (Prüfung steht aus), blieben die Böen sonst mehr oder weniger deutlich hinter den Allzeitrekorden zurück. An der Nordsee kann sich vor allem Orkan CHRISTIAN aus dem Oktober 2013 viele Rekorde auf die Fahne schreiben. Aber auch die Orkane ANATOL (1999), VERENA (1993), VIVIAN und DARIA (1990) aus den generell sehr stürmischen 90er-Jahren übertrumpfen ZEYNEP zumindest im Küstenumfeld. Über dem norddeutschen Tiefland bleiben die Orkane QUIMBURGA (1972) und CAPELLA (1976) oft das Maß der Dinge.
Während die Nordhälfte unmittelbar von ZEYNEP's Sturmfeld beeinflusst wurde, beschränkten sich nennenswerte Böen in der Südhälfte auf die rasch südostwärts schwenkende Kaltfront und fielen meist deutlich geringer aus. Nur punktuell reichte es für Orkanböen wie beispielsweise am Flughafen Frankfurt mit 122 km/h.
Bezogen auf Deutschland war ZEYNEP also "nur" ein starker, weniger ein historischer Sturm, während sie Teilen Westeuropas wohl durchaus länger als extremes Naturereignis in Erinnerung bleiben wird.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.02.2022
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