Um die Mittagszeit steht die Sonne in unseren Breiten bekanntlich am höchsten. Die Höchsttemperatur wird dagegen im Sommerhalbjahr meistens erst am späten Nachmittag bzw. abends erreicht. Irgendwie paradox oder nicht?
Hoch XENOPHON sorgt an diesem Wochenende für ruhiges Wetter mit oftmals viel Sonnenschein in Deutschland. Das lässt die Temperatur im Südwesten am heutigen Samstag auf bis zu 27 Grad klettern, im Norden, wo eine etwas kühlere Luftmasse anzutreffen ist, wird dagegen bereits bei Werten um 20 Grad Schluss sein. Daran ändert sich zumindest im Nordosten auch am Sonntag nichts, im großen Rest des Landes legt die Temperatur hingegen noch eine Schippe drauf mit verbreitet 23 bis 29 Grad, am Oberrhein und an der Saar sind zum Abend hin sogar 30 Grad drin.
Zum Abend hin? Und das, obwohl die Sonne ja bekanntlich zur Mittagszeit am höchsten steht und ihre Einstrahlung dann am kräftigsten ist? Abends fallen die Sonnenstrahlen dagegen doch nur noch ziemlich flach ein und haben kaum noch "Power". Wie passt das denn mit der Höchsttemperatur zusammen?
Tja, das klingt vielleicht wirklich etwas paradox, aber die Höchsttemperatur wird in unseren Breiten im Sommerhalbjahr tatsächlich meist erst spätnachmittags, zwischen Mai und August oft auch erst gegen 18 Uhr erreicht. Zur Erklärung steigen wir dafür doch einfach einmal kurz in die leere Badewanne - nicht zwingend physisch, gedanklich reicht an dieser Stelle vollkommen aus! Bei geöffnetem Abfluss drehen wir den Wasserhahn nun ein kleines Stück auf. Die Folge: Das Wasser fließt direkt über den Abfluss wieder ab. An eine Füllung der Wanne ist bei diesem Rinnsal nicht zu denken. Das ist in etwa gleichzusetzen mit den ersten einfallenden Sonnenstrahlen am Morgen. Drehen wir den Hahn nun langsam weiter auf, stellen wir fest, dass das Wasser allmählich anfängt zu steigen (entspricht dem Vormittagsverlauf). Zur Mittagszeit ist der Hahn voll aufgedreht und das Wasser (respektive die Sonneneinstrahlung bzw. die Lufttemperatur) steigt stark an.
Im Anschluss wird der Hahn nun langsam wieder zugedreht, es fließt aber immer noch mehr Wasser von oben nach, als unten abfließt - das Wasser (also die Lufttemperatur) steigt demnach immer noch, wenngleich nicht mehr so schnell (entspricht dem Nachmittagsverlauf). Erst im Laufe des Abends wird der Punkt erreicht, an dem das nicht mehr der Fall ist - der höchste Wasserstand bzw. die Höchsttemperatur ist erreicht. Es fließt nun wieder mehr Wasser ab als nach und der Wasserstand sinkt. Auf die Luft übertragen, reicht die Einstrahlung der immer tiefer stehenden Sonne nicht mehr aus, um es mit der Abkühlung der Luft aufnehmen zu können.
Dasselbe Phänomen greift im Allgemeinen übrigens auch in umgekehrter Weise bei der Tagestiefsttemperatur, besonders in einer windschwachen und klaren Nacht. Die Tiefsttemperatur wir dabei meist erst kurz nach Sonnenaufgang erreicht, denn erst dann reicht die einfallende Sonneinstrahlung aus, um den Erdboden und darüber indirekt auch die Luft zu erwärmen.
Tatsächlich können Tageshöchst- und -tiefsttemperatur im Prinzip aber zu jeder Tages- und Nachtzeit auftreten. So kann der Temperaturanstieg im Sommer auch schon mal zum Mittag beendet sein, wenn danach Schauer und Gewitter für eine Abkühlung sorgen. Im Winter kommt es dagegen auch immer wieder mal vor, dass die Temperatur nachts ihr Maximum erreicht, wenn beispielsweise eine Front kalte Luft durch deutlich mildere Atlantikluft ersetzt.
Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.05.2022
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