Ausblick auf die Hurrikansaison 2022

Nach einer sehr aktiven und weit überdurchschnittlichen Hurrikansaison im vergangenen Jahr wird auch für 2022 die siebte überdurchschnittliche Saison in Folge erwartet. Im heutigen Thema des Tages schauen wir auf die aktuellen Prognosen.


Tropische Wirbelstürme bilden sich im Bereich des Atlantischen Ozeans üblicherweise zwischen Anfang Juni und Ende November, weswegen die Dauer der atlantischen Hurrikansaison vom National Hurricane Center (NHC) der USA den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November festgelegt wurde. Der offizielle Beginn nähert sich daher mit großen Schritten. Eine subtropische oder tropische Zyklogenese ist jedoch jederzeit möglich, wie in der Saison 2021, als sich der Tropensturm Ana am 22. Mai formierte. 2021 war gar das siebte Jahr in Folge, in dem sich ein Sturm schon vor dem vorgesehenen Saisonbeginn bildete.

Die ersten saisonalen Vorhersagen für die diesjährige Hurrikansaison wurden im April veröffentlicht. Die Prognosen der Colorado State University gehen von einer weiteren aktiven und somit arbeitsreichen Sturmsaison in den tropischen Regionen des Atlantiks aus. Das würde bedeuten, dass 2022 das siebte Jahr in Folge sein wird, in dem die Aktivität der tropischen Wirbelstürme im Atlantik und in der Karibik überdurchschnittlich hoch sein wird. Im langfristigen Durchschnitt bringt eine Wirbelsturmsaison normalerweise 14 benannte Stürme, davon sieben Hurrikans, von denen wiederum drei eine größere Intensität (Kategorie 3 oder höher) erreichen. Zur Erinnerung: Die Wirbelsturmaktivität 2021 brachte hingegen 21 Stürme und 7 Hurrikane hervor, wovon sich wiederum 4 (Grace, Ida, Larry und Sam) zu schweren Hurrikane mauserten. Den Prognosen der Colorado State University nach könnte die atlantische Hurrikansaison 2022 mit etwa 19 benannten tropischen Systemen verlaufen. Daraus wiederum könnten 9 zu Hurrikane und davon wiederum 4 zu schweren Hurrikane heranreifen.

Ein Hauptgrund für die erwartete rege Tätigkeit wird ähnlich wie in den Jahren 2020 und 2021 in dem sich voraussichtlich im Sommer an Stärke gewinnenden La Nina Phänomen gesehen. La Nina ist ein Teil des großräumigen Zirkulationssystems El Nino Southern Oscillation (kurz: ENSO; siehe https:/t1p.de/2djh) über dem östlichen tropischen Pazifik. Jenes System wechselt zwischen kalten und warmen Phasen. Die tropischen Passatwinde (das sind die östlichen Winde, die die Erde in der Nähe des Äquators umkreisen) lösen in der Regel eine bestimmte Phase aus oder beenden sie, da sie das oberflächennahe Wasser des Ozeans vermischen und die Meeresströmungen verändern. Die periodische Abkühlung der tropischen Ozeane des Ost- und Zentralpazifiks wird als La Nina bezeichnet. Das Gegenteil, die warme Phase, wird als El Nino bezeichnet. Jede dieser beiden ENSO-Phasen hat einen anderen Einfluss auf das tropische Wetter und auch darüber hinaus.

Apropos Einfluss auf die Hurrikansaison im Atlantikbecken: La Nina ist nicht nur förderlich für eine regere Sturmsaison, sondern auch für intensivere, größere Hurrikane der Kategorie 3 oder höher. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die vertikale Windscherung (Richtungs- und Geschwindigkeitsänderung mit der Höhe) geringer ist und die Atmosphäre instabiler ist. Im Gegensatz dazu entwickeln sich im östlichen Pazifik weniger Hurrikane, da hier eine stärkere Windscherung herrscht.

Förderlich für die diesjährige Wirbelsturmaktivität sind auch die bereits in weiten Teilen der tropischen Regionen des Mittel- und Westatlantiks aktuell wärmeren Meeresoberflächentemperaturen im Vergleich zum Mittel, insbesondere in der Golfregion und in der Karibik (siehe Abbildung der Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen im Atlantik). Ein großer Teil des Golfs von Mexiko ist sogar viel wärmer als im Durchschnitt, weshalb sehr viel Feuchtigkeit in die Great Plains und den Mittleren Westen vordringt, was in letzter Zeit zu Unwettern geführt hat. Dieser Zustand entspricht genau dem, was normalerweise vor einer aktiven atlantischen Hurrikansaison zu beobachten ist. Die Prognosen gehen zudem davon aus, dass in diesen Gewässern von August bis Oktober annähernd normale bis überdurchschnittliche hohe Meerestemperaturen erwartet werden. Dieser Umstand würde während des Höhepunkts der Hurrikansaison von Mitte/Ende August bis in den September hinein tropische Entwicklungen bedeutend unterstützen.

Für die Prognose der tropischen Sturmsaison gilt es auch die Augen auf das Wetter in Westafrika zu richten. Dort entstehen die tropischen Wellen, die in den östlichen Atlantik auslaufen. Fast 85% dieser Wellen führen zu organisierter Konvektion über dem Atlantischen Ozean, die sich zu tropischen Tiefdruckgebieten oder Stürmen weiterentwickeln. Auch in diesem Jahr werden für Westafrika starke Winde vorhergesagt, so dass mit einer Reihe von tropischen Wellen zu rechnen ist, die nach Westen ziehen.

Einer der auffälligsten Teile der saisonalen Vorhersage für die bevorstehende Hurrikansaison ist die weit über 70 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein großer Hurrikan an der Küste der Vereinigten Staaten sowie in der Karibik landet. Man bedenke, dass in einer typischen Saison die Wahrscheinlichkeit, dass das US-Festland getroffen wird, etwa 50 Prozent beträgt. Bleibt also zu hoffen, dass so viele Wirbelstürme wie möglich über Wasser bleiben, fernab von bewohnten Gebieten.


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.05.2022

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