Arktische Meereisbedeckung zum Sommerstart auf hohem Niveau


Zwar lockt hierzulande an diesem sommerlichen Wochenende eher das Speiseeis an der Eisdiele um die Ecke, doch auch im Thema des Tages widmen wir uns dem festen Aggregatzustand des Wassers. Genauer gesagt schauen wird auf die laufende Schmelzsaison des arktischen Meereises.

Der Schmelzprozess des arktischen Meereises beginnt in der Regel Ende März an den äußeren Rändern des Eisschildes, wenn die Tage länger werden und der Einfluss der Sonne über den nördlichen Regionen stark genug ist und somit auch die Temperaturen steigen. Im Sommer scheint in der Arktis 24 Stunden am Tag die Sonne, was bedeutet, dass das Meereis nahezu konstant schmilzt. Mitte September wird meist das Minimum der Eisausdehnung verzeichnet. Anschließend nimmt die Meereisbedeckung mit Eintritt der Polarnacht über das Winterhalbjahr wieder zu.

Die arktische Meereisbedeckung betrug im Mai 2022 12,88 Millionen Quadratkilometer. Obwohl diese Ausdehnung die höchste der letzten 9 Jahre (seit 2013) ist, liegt sie 0,41 Millionen Quadratkilometer unter dem Durchschnitt von 1981-2010. Insgesamt sortiert sich anhand der seit 1979 durchgängigen Satellitenaufzeichnungen die durchschnittliche Ausdehnung des diesjährigen Mai auf den vierzehntniedrigsten Rang ein. Am Ende des Monats war die Ausdehnung vergleichbar mit der Ausdehnung Ende Mai 2012. Jenem Jahr, indem am Ende der Schmelzsaison das bisher absolute Minimum verzeichnet wurde. Legt man eine lineare Trendlinie an die Daten der Meereisausdehnung im Mai über die 44-jährige Satellitenaufzeichnungen beträgt der Rückgang 33.700 Quadratkilometer pro Jahr bzw. 2,5 Prozent pro Jahrzehnt im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 (siehe lineare Trendlinie in Abbildung 1). Insgesamt verzeichnet der Monat Mai somit seit 1979 einen Verlust von 450.000 Quadratkilometer Meereis. Dies entspricht in etwa der Größe des Bundesstaates Kalifornien.

Dennoch lässt sich konstatieren, dass der Rückgang des Meereises im diesjährigen Mai, wie auch schon zuvor im April, langsamer als üblich verlief. Die für diese Jahreszeit dabei relativ große Eisbedeckung war größtenteils das Ergebnis unterdurchschnittlicher Temperaturen im Bereich der Baffin Bay. Auch im Bereich der Bering- und Barentssee wurde der Rückzug des Meereises durch Winde aus nördlichen Richtungen gebremst. Es haben sich inzwischen aber auch größere offene Wasserregionen etwa in der Laptewsee (siehe in Abbildung 2 den größeren weitgehend eisfreien Bereich nördlich von Russland) innerhalb von großen Meereisflächen gebildet. Diese Öffnungen werden Polynjas genannt. Sie können auch entstehen, wenn die Lufttemperatur unter dem Gefrierpunkt liegt. Solche Lücken im Packeis ermöglichen eine direkte Interaktion zwischen dem Ozean und der Atmosphäre. Die dunklere Meeresoberfläche kann die Sonnenenergie stark absorbieren und erwärmt die oberflächennahen Schichten des Ozeans, wodurch wiederum die Eisschmelze an den Rändern der Polynja gefördert wird.

Im Allgemeinen beginnt ab Anfang Juni die schnellste Phase der Meereisschmelze im Arktischen Ozean. In diesem Zeitraum verliert die Meereisausdehnung innerhalb von nur 4 Wochen in aller Regel etwa 2 Millionen Quadratkilometer an Fläche. Jetzt werden also die Weichen gestellt, wie niedrig am Ende der Schmelzperiode das Minimum der Meereseisbedeckung ausfällt. Wie könnte nun das Wetter in der Arktis im Sommer 2022 werden und somit den saisonalen Rückzug des Meereises beeinflussen? Die saisonale Wettervorhersage muss viele der globalen Faktoren berücksichtigen, die sie bestimmen. Das globale Wetter ist ein sehr komplexes System mit mehreren groß- und kleinskaligen Aspekten. Die saisonalen Vorhersagen konzentriert sich dabei auf verschiedene Parameter, vor allem darauf, wie großräumige Drucksysteme und die Positionierung des Jetstreams das Wettergeschehen beeinflussen. Die Langfristmodelle deuten darauf hin, dass die 2 Meter Temperaturen im Juni für den größten Teil des arktischen Ozeans annähernd normal oder sogar kühler sind. Eine solche Prognose würde implizieren, dass die Schmelzsaison auch im ersten Sommermonat wahrscheinlich langsamer als normal verläuft. Der im Mai beobachtete Trend wird sich also möglicherweise über den Juni fortsetzen. In den Monaten Juli und August könnten die arktischen Küsten voraussichtlich mit einer deutlich positiven Temperaturanomalie konfrontiert werden (beispielhaft in Abbildung 3 die Temperaturanomalie für den Monat August vom CFSv2 Modell). Wie üblich wird der Rückgang der Meereisausdehnung in den äußeren Bereichen des Arktischen Ozeans stärker ausfallen. Insbesondere in den arktischen Küstenregionen wird dadurch ein positiver Rückkopplungsprozess begünstigt. Dieser Effekt wird auch als Arctic Amplification (arktische Verstärkung) bezeichnet. Dabei bewirkt das zurückziehende Eis, dass immer größere Flächen der dunklen Ozeanoberflächen zum Vorschein kommen. In Kombination mit der starken Sonneneinstrahlung kann sich das oberflächennahe Meer somit weiter aufheizen und erwärmt somit auch die darüber liegenden Luftschichten stärker, wodurch wiederum die Eisschmelze in den angrenzenden Regionen beschleunigt wird.

Im September wird sich dann zeigen, inwiefern sich die vergleichsweise größere Meereseisausdehnung aus dem Frühjahr auch in einem höheren Minimum wiederfindet oder ob die Sommermonate in Verbindung mit den Rückkopplungsprozessen eine besonders starke Schmelzperiode hervorbringen.


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.06.2022

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