Etwa 40% der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf den Bausektor zurück. Doch wie lassen sich Architektur und Klimaschutz vereinbaren? Beim internationalen Hochschulwettbewerb "Solar Decathlon" gab es viele innovative Lösungen - und ein Gewinnerteam aus Karlsruhe.
Wie kann Architektur in Zeiten des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der steigenden Nachfrage nach Wohnraum ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht werden? Dieser Frage sind die Teilnehmenden des "Solar Decathlon Europe" nachgegangen.
Der Solar Decathlon (englisch: solarer Zehnkampf) wurde 2002 als internationaler Hochschul-Architekturwettbewerb vom US-Energieministerium initiiert und findet seit 2008 auch in einer europäischen Version als Solar Decathlon Europe statt. Erstmals war nun Deutschland in diesem Jahr Austragungsland und so kamen vor wenigen Wochen 16 Teams aus zehn Ländern nach Wuppertal, um ihre Ergebnisse zu präsentieren: Solarhäuser mit neutraler oder sogar positiver Energiebilanz.
Im Fokus des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Wettbewerbs stand erstmals das Konzept "Solar Decathlon Europe goes Urban", bei dem das nachhaltige Bauen und Wohnen im städtischen Kontext im Mittelpunkt stand. Vor dem Hintergrund zunehmender Urbanisierung und knappem Wohnraum lautete die Devise also Um- und Weiterbau statt Abriss und Neubau.
Wie beim olympischen Zehnkampf, haben sich auch die Teams des Solar Decathlon Europe in zehn Disziplinen gemessen: Architektur, Gebäudetechnik & Bauphysik, Energieperformance, Realisierbarkeit & Sozial-ökonomischer Kontext, Kommunikation & Bildung, Nachhaltigkeit, Komfort, Funktion, Urbane Mobilität und Innovation.
Ein interdisziplinäres Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hatte schließlich die Nase vorn und holte den Gesamtsieg. Platz 2 ging an die TU Eindhoven, den dritten Platz teilten sich die Teams aus Grenoble und Delft. Doch was macht das Siegergebäude so besonders, wie sieht es aus und wie gelingt dort eine CO2-neutrale solargestützte Energieversorgung?
Die Karlsruher widmeten sich einer Fläche, die sich über unseren Köpfen befindet, oft übersehen wird und riesiges Potenzial an Bauland bietet: Die Dächer der Stadt. Sie entwarfen ein Gebäudekonzept, das als Aufstockung für ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert (das Café ADA in der Altstadt von Wuppertal) konzipiert ist und ganz vom Gedanken der Kreislaufwirtschaft geprägt ist: eine Fassadenverkleidung aus Holz alter Scheunen aus dem Schwarzwald, nie verbaute Fenster aus dem Lager eines Fensterbaubetriebs, Küchen- und Badezimmerabdeckungen aus recycelten Joghurtbechern, natürliche Baustoffe wie Lehmputz und getrocknetes Seegras als Dämmmaterial. Dabei sind alle Verbindungen lösbar, auf Verwendung von Klebstoffen, Farben und Imprägnierungen wird verzichtet.
Die Energieversorgung des Gebäudes basiert auf PVT (photovoltaic-thermischen)-Kollektoren, die gleichzeitig Solarstrom und Wärme für eine Wärmepumpe liefern, wobei letztere ein Fußbodenheizungssystem und einen Warmwasserspeicher speist. Auch die Umwandlung von Bioabfällen in Biogas zum Kochen wird berücksichtigt. Alles in allem wird der gesamte Energiebedarf im RoofKIT Projekt ? dazu zählt nicht nur die Versorgung des Gebäudes an sich, sondern auch alle Geräte und E-Mobilität ? aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Eine passive Kühlstrategie, die im Sommer die Innenraumtemperaturen im gewünschten Komfortbereich hält, sowie ein ausgeklügeltes Beleuchtungskonzept runden das Karlsruher Projekt ab - seien hier aber nur am Rande erwähnt.
Wer nun Lust bekommen hat, sich die nachhaltigen Bauten aus der Nähe anzuschauen - kein Problem! Acht der 16 Versuchsbauten sollen auch künftig zu Forschungszwecken als sogenanntes Living Lab in Wuppertal stehen bleiben, der Rest wird rückgebaut und bekommt wahrscheinlich einen Ehrenplatz auf dem jeweiligen Campus der beteiligten Hochschulen.
Auch wenn die Zahlen recht ernüchternd sind - etwa 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen und 40 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs gehen auf den Bausektor zurück - so zeigen sie doch auch ein großes Potenzial auf. Denn wo viel verbraucht wird, lässt sich (meistens) auch viel einsparen. Und vielleicht hat der Wettbewerb diesbezüglich mit seiner Botschaft einen kleinen Beitrag geleistet: Zeigen, wie nachhaltige Architektur aussehen kann und damit möglichst viele (aktuelle und zukünftige) Hausbesitzer inspirieren.
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.07.2022
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