Hamburg: unsichtbarer Wetterwechsel


Plötzlich wurde es anders und nichts ist passiert. Ein sommerliches Phänomen spielte sich diese Woche in Hamburg ab. Viel Wind, plötzlicher Temperaturrückgang, Zufuhr sehr feuchter Luft, aber weder Wolken noch Regen. Was ist da passiert?

Als Meteorologin kann ich draußen in der Natur nur selten den Kopf komplett ausschalten. Denn jeder Blick in den Himmel lässt einen über die physikalischen Prozesse nachdenken, die sich durch Wolkenformationen oder Windbewegungen zeigen. So wird auch ein dienstfreier Tag bei großer Hitze genutzt um über die Rätsel der Meteorologie zu philosophieren. Ich suchte mir am vergangenen Mittwoch, dem bisher heißesten Tag in Hamburg, ein schattiges Plätzchen in einem Hamburger Park. In der Nähe spielte einer der Oben-Ohne-Fraktion sanfte Töne auf seiner Gitarre. Es wehte ein leises Lüftchen aus südlicher Richtung, was für Hamburg schon eher untypisch ist. Doch dann hatte die ungewöhnliche Hitze ein jähes Ende. Der Wind frischte aus einer anderen Richtung plötzlich auf und die Temperaturen sanken von 39 auf 31 Grad ab, gleichzeitig stieg der Taupunkt von 8 Grad auf 18 Grad sprunghaft an. Windzunahme, deutlich erhöhte Luftfeuchtigkeit, aber keine einzige Wolke am Himmel.

Die Ausgangslage sah wie folgt aus: Ein Hoch lag mit seinem Schwerpunkt über Osteuropa. Gleichzeitig hat sich auch in der Höhe ein Hochdruckrücken angefüllt mit heißer Luft vom Mittelmeer bis nach Mitteleuropa erstreckt. Im Tagesverlauf wurden beide weiter nach Osten abgedrängt. Von der Nordsee über Belgien bis in die Schweiz lag eine Kaltfront. Diese verlagerte sich bis zum Nachmittag wenig ostwärts und erreichte gegen 17 Uhr etwa eine Linie von Amsterdam über das Ruhrgebiet bis ins Allgäu. Entlang dieser Linie haben sich bereits einige Gewitterzellen gebildet. Westlich davon sanken bereits die Temperaturen. Die Kaltfront lag also noch weit westlich von Hamburg, trotzdem gingen die Temperaturen ganz ohne Blitz und Donner deutlich zurück. Die Kaltfront konnte es also nicht gewesen sein, was in der Stadt für Erfrischung sorgte.

Vorlaufend der Kaltfront konnte man im Windfeld der unteren Troposphäre eine Konvergenzlinie erkennen, die sich am Nachmittag über Norddeutschland ostwärts verlagerte. Bei einer Konvergenz fließt Luft in niederen troposphärischen Schichten zusammen und zwingt die Luftmasse somit vertikal aufzusteigen. Bei so aufsteigender Luft entstehen meist konvektive Bewölkungsformen bis hin zu Cumulonimbus-Bewölkung. Wolken konnte man über dem Hamburger Himmel aber keine erkennen. Was hat die Wolkenbildung verhindert? Zum einen war die Luftmasse über Norddeutschland durch die anhaltenden sehr hohen Temperaturen und dem vorangegangenen Hochdruckeinfluss sehr trocken. Die Luftmasse hätte schon sehr stark gehoben werden müssen, um die Wolkenbildung zu fördern. Zum anderen hat die Thermik in der Grenzschicht plötzlich "kalte Füße" bekommen. Schuld daran ist die Nordsee.

Die Nordseetemperaturen liegen zurzeit bei 18 bis 20 Grad, direkt an der Küstenlinie bis 22 Grad. Das Festland hat sich am Mittwoch auf 35 bis 40 Grad aufgeheizt. Durch den lokalen Temperaturgradienten entstand eine sogenannte "thermische Zirkulation", die auch "Land-Seewind-Zirkulation" genannt wird. Aufgrund der geringeren Wärmekapazität der Landflächen im Vergleich zu den Wasseroberflächen heizt sich die Luft dort stärker auf. Die erhitzte Luft weist im Vergleich zur Meeresumgebung eine geringere Dichte auf und steigt somit auf. Es entsteht bodennah ein lokales Tief über der Landfläche, in der oberen Grenzschicht ein lokales Hoch. Durch den tieferen Luftdruck im bodennahen Bereich wir die relativ kühlere und feuchtere Meeresluft angezogen. Gleichzeitig entwickeln sich über dem Meer umgekehrte Luftdruckstrukturen mit höherem Luftdruck am Boden und tieferem Luftdruck in der Höhe durch Absinkbewegungen in der Grenzschicht. Diese Zirkulation wurde im Tagesverlauf immer großräumiger und brachte kühlere und feuchtere Luft weiter ins Landesinnere Schleswig-Holsteins und Niedersachsens.

Die Konvergenzlinie hat die kühlere und feuchtere Meeresluft, die durch die Seewind-Zirkulation schon eingeflossen ist noch etwas schneller und weiter über Schleswig-Holstein bis nach Hamburg vorangetrieben. Gegen 17 Uhr erreichte der Seewind angekündigt durch die plötzliche Windzunahme Hamburg. Die eingeflossene bodennahe Kaltluftschicht reichte vom Boden bis etwa in eine Höhe von 700 Metern (sehr schön zu sehen in einem Vertikalprofil gemessen am Flughafen Fuhlsbüttel). In dieser vergleichsweisen kalten Luft hatten die Thermikblasen keine Chance mehr aufzusteigen und die Bildung von Quellwolken blieb aus.

Noch ein interessantes meteorologisches Detail, das sich an diesem Tag beobachten ließ, waren die Windgeschwindigkeiten entlang der Elbe. Während über Schleswig-Holstein und Niedersachsen die Seewind-Konvergenz mit Böen um 45 km/h durchzog, wurden entlang der Elbe teils Windgeschwindigkeiten über 60 km/h gemessen. Dies liegt zum einen an der niedrigeren Reibung über Wasseroberflächen. Zum anderen begünstigte auch die Windrichtung die höheren Geschwindigkeiten. Der trichterförmige Ausgang der Elbe erzeugt einen Kanalisierungseffekt bei Nordwestwinden.

Für mich ging ein gemütlicher Tag zu Ende und ich freue mich schon auf meinen nächsten freien Tag um weiter über faszinierende meteorologische Prozesse zu rätseln.

MSc Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 22.07.2022

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