Warum können Flugzeuge fliegen? Trotz ihres tonnenschweren Gewichts können Flugzeuge fliegen. Welche Effekte dazu beitragen, schauen wir uns heute einmal an. Der Airbus A380, das größte und schwerste Passagierflugzeug der Welt, wiegt stolze 560 Tonnen. Manch einem mag es wie ein Wunder erscheinen, dass diese tonnenschweren Kolosse überhaupt in der Lage sind, abheben und fliegen zu können. Und tatsächlich bedarf es komplexer Ingenieurskunst, die das Fliegen mit Flugzeugen ermöglicht. Nicht umsonst absolvierten erst im Jahre 1903 die Gebrüder Wright den ersten kontrollierten und langandauernden Flug eines motorisierten Flugzeugs, nachdem sich schon viele Jahre zuvor eine ganze Reihe an Flugpionieren mehr oder weniger erfolgreich am Fliegen versuchten. Wir werden sehen, dass die spezielle Form der Tragflächen eines Flugzeugs (ugs. Flügel) eine entscheidende Rolle spielt. Schauen wir uns zunächst die vier physikalischen Kräfte an, die auf ein Flugzeug in der Luft einwirken. Die Schwerkraft wirkt natürlich nach unten und muss von der Auftriebskraft (kurz: Auftrieb, zeigt nach oben) überwunden werden, um das Flugzeug in der Luft zu halten bzw. aufsteigen zu lassen. Die Schubkraft (Vortrieb) bewegt das Flugzeug vorwärts und der Luftwiderstand wirkt wiederum dem Vortrieb entgegen und hat eine bremsende Wirkung. Damit ein Flugzeug vom Boden abheben kann, muss ein derart starker Auftrieb erzeugt werden, dass dieser betragsmäßig der Gewichtskraft überwiegt. Ist dies der Fall, wird die Schwerkraft überwunden und das Flugzeug steigt bis zum Erreichen der Reiseflughöhe auf. Dort bewegt sich das Flugzeug genau so, dass die nach unten zeigende Gewichtskraft mit dem nach oben zeigenden Auftrieb im Gleichgewicht steht. Aber wie erzeugt nun das Flugzeug diesen Auftrieb? Hierbei spielen gleich mehrere Effekte der Aerodynamik, der Lehre von Strömungsvorgängen in der Luft (genauer: in Gasen), eine Rolle. Ein wichtiges Prinzip ist der sogenannte "Bernoulli-Effekt", benannt nach dem Schweizer Physiker Daniel Bernoulli, der diesen schon im 18. Jahrhundert entdeckte. Er besagt, dass strömende Flüssigkeiten und Gase einen geringeren Druck auf ihre Umgebung ausüben als ruhende und dass der Druck umso geringer ist, je schneller die Strömung ist. Diesen Effekt können Sie übrigens mit einem einfachen Experiment zuhause nachweisen. Halten Sie dazu ein Blatt Papier an zwei Enden fest und lassen die andere Seite nach unten hängen. Wenn Sie nun über das Blatt blasen, bringen Sie die Luft oberhalb des Blattes in Bewegung und der dadurch erzeugte Unterdruck führt zu einem Sog, der das Blatt nach oben flattern lässt. Das Blatt erhält also rein durch die Luftbewegung einen dynamischen Auftrieb. Nun kommt die spezielle Form der Tragflächen ins Spiel. Diese haben nämlich einen asymmetrischen Querschnitt mit einer gewölbten Oberseite und einer fast geraden Unterseite. Auf der Rückseite laufen Ober- und Unterseite spitz zusammen. Bewegt sich das Flugzeug schnell nach vorne, so strömt ein Teil der Luft oberhalb und der andere unterhalb der Flügel hinweg. Durch die gekrümmte Oberseite muss die überströmende Luft einen längeren Weg zurücklegen als die Luft unterhalb des Flügels. Die Luftteilchen an der Oberseite fließen auf der gekrümmten Bahn schneller als auf der Unterseite (vo > vu). Nach dem Gesetz von Bernoulli entsteht so an der Oberseite der Tragflächen ein Unterdruck (po < pu), der einen dynamischen Auftrieb bewirkt. Bei hoher Luftfeuchtigkeit kann Kondensation diese gekrümmten Luftströmungen sogar sichtbar machen. Ein weiterer und v.a. beim Aufstieg noch wichtigerer Effekt wird durch eine leichte Schrägstellung der Tragflächen (im Flugjargon "Anstellen" genannt) erzeugt. Durch diese nach hinten gekippte Flügelstellung wird die vorbeigleitende Luft nach unten gedrückt. Aus Impulserhaltungsgründen entsteht unterhalb der Tragflächen eine Gegenkraft, die das Flugzeug nach oben schiebt, wodurch es zusätzlichen Auftrieb erfährt. Bisher unterschlagen wurde der Grund, warum sich die Luftteilchen auf der gekrümmten Bahn auf der Oberseite der Flügel schneller bewegen als darunter. Dafür ist ein Wirbel verantwortlich, der beim Start an der Hinterkante der Tragflächen entsteht und sich anschließend vom Flugzeug ablöst, der sogenannte "Anfahrwirbel" (siehe Abbildung 3). Ein weiteres physikalisches Gesetz besagt, dass jeder Wirbel einen zweiten entgegengesetzten Wirbel auslöst. Der durch den Anfahrwirbel ausgelöste zweite Wirbel führt um den gesamten Flügel herum, und zwar unterhalb des Flügels nach vorne (entgegen der Strömungsrichtung) und darüber nach hinten. Dadurch wird die Luftströmung unterhalb der Tragflächen verringert und oberhalb erhöht, sodass der Bernoulli-Effekt zum Tragen kommt. Damit ein Flugzeug aufsteigen kann, muss es sich nach vorne bewegen. Dieser Vortrieb (Schubkraft) wird durch Propeller oder Düsentriebwerke erzeugt. Erst diese (horizontale) Bewegung führt dazu, dass Luft die Tragflächen über- und unterströmen kann. Ab einer gewissen (vom Gewicht des Flugzeugs und Größe der Tragflächen abhängigen) Geschwindigkeit ist der dynamische Auftrieb groß genug, um die Schwerkraft zu überwinden. Das Flugzeug hebt also von der Startbahn ab. Zusammengefasst wird das Flugzeug durch den Bernoulli-Effekt von oben angesaugt und zusätzlich durch die Schräglage von unten geschoben. Das für den Unterdruck nötige schnellere Überströmen der Luft wird durch Wirbelbildung an den Flügeln verursacht. Damit das Flugzeug überhaupt einen Auftrieb erfährt, muss es sich horizontal nach vorne bewegen. Übrigens, das oben beschriebene Gesetz von Bernoulli hat neben der Fliegerei noch in anderen Bereichen große Bedeutung. Bei hohen Windgeschwindigkeiten (z.B. bei einem Wintersturm) sorgt das schnelle Überströmen von Hindernissen ebenfalls für einen Unterdruck, der eine Sogwirkung erzeugt, die Dachziegeln anhebt oder abdeckt oder Wellblechdächer aus ihrer Verankerung reißt und wegweht. Ein Großteil der Sturmschäden an Gebäuden ist also auf den Bernoulli-Effekt zurückzuführen. Dieselbe Sogwirkung ist außerdem der Grund, warum Regenschirme zum Ärger ihrer Benutzer bei Wind allzu gerne nach oben klappen.


Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.10.2022

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