"Vb" oder nicht? Entscheide dich Birgit!

Tiefdruckkomplex BIRGIT verläuft derzeit von der Iberischen Halbinsel bis ins südliche Mitteleuropa. Ein Teil davon könnte eine recht pikante Zugbahn einnehmen, die sogenannte "Vb"-Zugbahn (sprich: fünf-b). Mehr dazu lesen Sie im heutigen Thema des Tages.

Der deutsche Meteorologe Wilhelm Jacob van Bebber hatte bereits 1891 festgestellt, dass sich bestimmte Zugbahnen von Tiefdruckgebieten über Europa wiederholen. Van Bebber nummerierte die am häufigsten vorkommenden Zugbahnen mit den römischen Ziffern I bis V, wobei in Mitteleuropa bei uns Meteorologen bis heute vor allem die Zugbahn "Vb" ein Begriff ist.

Das liegt vor allem daran, dass diese Wetterlage häufig mit kräftigen und lang anhaltenden Niederschlägen verbunden ist. Eine ausgeprägte Vb-Lage führte beispielsweise zum Elbehochwasser 2002. Bei diesem Ereignis wurden im Erzgebirge (Zinnwald-Georgenfeld) am Morgen des 13.08. unvorstellbare 312 l/qm gemessen, wohl gemerkt innerhalb von 24 Stunden. Das ist bis heute die größte Tagesregenmenge seit Beginn routinemäßiger Wetterbeobachtungen in Deutschland. Auch das Oderhochwasser von 1997 ist auf eine solche Wetterlage zurückzuführen.

Wie sieht denn nun eine Vb-Lage aus? Typischerweise liegt in höheren Luftschichten eine weit nach Süden gestreckte Tiefdruckzone über West- und Mitteleuropa, die kalte Luft in den westlichen Mittelmeerraum transportiert. Dieser Kaltluftvorstoß sorgt für die Entstehung eines bodennahen Tiefs im Bereich Golf von Genua, Oberitalien und nördliche Adria. Das neu entstandene Tief wird klassischerweise in einem Bogen um die Alpenostseite herum weiter nach Norden über Tschechien und Polen gesteuert und landet letztlich zumeist in Skandinavien oder dem Baltikum.

Da sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn drehen, führt unser hier beschriebenes Vb-Tief auf seiner Ostflanke aus Süden sehr feuchte und warme Mittelmeerluft mit sich. Diese wird dann häufig auch noch weiter um das Tief herumgeführt und kann somit auch in die Osthälfte Deutschlands gelangen, wo sie auf eine deutlich kühlere Luftmasse trifft. Die warme Luft gleitet auf die vor ihr befindliche kalte Luftmasse auf, was zu kräftigen und lang anhaltenden Niederschlägen führt. Besonders heftig können diese im Stau der östlichen Mittelgebirge sowie der Alpen ausfallen.

Jetzt muss es sich bei den Niederschlägen nicht zwangsläufig um Regen handeln, sondern es kann auch durchaus Schnee gemeint sein. Und damit wären wir wieder bei der aktuellen Wetterentwicklung beziehungsweise bei BIRGIT. Dieser Tiefdruckkomplex besteht aus mehreren kleinräumigen Kernen, von denen wir uns im Folgenden auf dasjenige über der Iberischen Halbinsel fokussieren wollen (der Einfachheit halber bezeichnen wir hier nur dieses eine Tief mit BIRGIT). Nach aktuellem Stand soll BIRGIT am morgigen Samstag über Mittelitalien liegen und am Sonntag in Südosteuropa ankommen. Dort schlägt BIRGIT eine nördliche Route ein und erreicht am Montag unter Verstärkung in etwa das Baltikum.

Das ähnelt schon etwas einer Vb-Zugbahn. Letztlich verläuft sie aber doch etwas zu weit südlich und östlich, als dass die östlichen und südöstlichen Landesteile von großen Schneemengen betroffen wären. Das sah gestern Vormittag zum Teil noch anders aus, als die Zugbahn von BIRGIT noch etwas näher an Deutschland gerechnet wurde. Während zum Beispiel für die Regionen südlich der Donau für kommenden Sonntagmorgen eine Gesamtschneehöhe von 5 bis 10 cm und am Alpenrand 10 bis 20 cm prognostiziert wurde, sind es - Stand heute - gerade mal noch 1 bis 5 cm südlich der Donau und 5 bis 10 cm am Alpenrand. Ebenfalls eine 10 bis 20 cm dicke Schneedecke wurde für Montagmittag zwischen Westerzgebirge und Lausitz vorhergesagt, mittlerweile sind es gerade einmal noch rund 5 cm und nur in den Staulagen beziehungsweise Hochlagen des Erzgebirges um 10 cm.

Durch die gestern noch prognostizierte "nähere" Zugbahn wäre zudem auch der Wind deutlich stärker gewesen mit Sturmböen an der Ostsee und im östlichen Bergland, was zum Teil enorme Verwehungen mit sich gebracht hätte. Doch auch das scheint vom Tisch zu sein, beziehungsweise sich auf die Kammlagen des Erzgebirges zu beschränken.

Für den Fall, dass Sie nun vielleicht etwas enttäuscht sind, weil Sie sich auf etwas mehr Schnee gefreut haben, gibt es noch Hoffnung: Das letzte Wort ist sicherlich noch nicht gesprochen. Das Tief muss sich einfach "nur" etwas mehr an die klassische Vb-Zugbahn halten.

Die Bilder zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie immer im Internet unter www.dwd.de/tagesthema.


Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.12.2022

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