Ende Januar gab es bereits ein Minor-Warming in der oberen und mittleren Stratosphäre. Nun steigen die Chancen auf ein Major-Warming nach Monatsmitte, mit möglichen Konsequenzen auch für die Troposphäre.
Eine plötzliche Stratosphärenerwärmung tritt statistisch gesehen alle zwei Jahre im nordhemisphärischen Winter auf. Per Definition spricht man von einem "major sudden stratospheric warming" oder einer markanten plötzlichen Stratosphärenerwärmung, wenn neben einem starken Temperaturanstieg (über 25 Grad in wenigen Tagen) in der oberen und mittleren Stratosphäre über dem Nordpol der westliche Wind (zonal gemittelt, also auf einem Breitengrad, hier 60 Grad N zirkumpolar) in 10 hPa (in etwa 31 km Höhe) komplett auf Ostwind dreht, also reversiert.
Ein "minor stratospheric warming" (schwächeres Ereignis) geht ebenso mit einer markanten Temperaturerhöhung in der polaren oberen bis mittleren Stratosphäre, allerdings nicht mit einer kompletten Windumkehr in 10 hPa/ 60 Grad Nord, einher.
Hintergrund der Definition für ein Major-SSW ist eine markante (und möglichst nachhaltige) Schwächung des stratosphärischen Polarwirbels (SPV), die in der Regel auch eine großräumige Veränderung troposphärischer Zirkulationsmuster nach sich zieht (siehe auch TdT vom 10.01.2021
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html). Ende Januar fand nun bereits ein Minor-Warming statt, wobei ein Teil der Entstehungsgeschichte dafür im TdT vom 06.01.2023 angerissen wurde (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/1/6.html). Die Auswirkungen dieses Minor-Warmings auf die Troposphäre waren bzw. sind aufgrund obiger Bedingungen stark limitiert, weil eine dynamische Kopplung Stratosphäre-Troposphäre in der Regel nicht stattfindet. Wesentlich für die weiter unten beschriebene Entwicklung in Richtung eines Major-SSW ist allerdings schon die vorherige Schwächung des Stratosphärischen Polarwirbels (SPV) durch das Minor-Warming.
Nun kündigt sich nach Monatsmitte eine weitere plötzliche Stratosphärenerwärmung (SSW) an, wobei die Modelle (EZMWF, GFS) diesmal von einem Major-SSW ausgehen. Eine bestimmte synoptische Konstellation (neben dem Alëuten-Tief sei hier auch das Muster Skandinavien-Hoch, kombiniert mit Grönland-Tief zu erwähnen) ermöglicht bei langen quasistationären planetaren Wellen mit großer Amplitude verstärkte meridionale und vertikale Wellenflüsse in Richtung Arktische Stratosphäre. Diese Rossby-Wellen breiten sich mit der Zeit bis in die mittlere und obere Stratosphäre aus, vergrößern dort aufgrund geringerer Dichte noch ihre Amplitude in Richtung polare Stratosphäre, brechen somit verstärkt und dissipieren im Verlauf (lösen sich auf) unter starker Wärmefreisetzung. Beim bevorstehenden Major-SSW geht man zunächst erneut von einem "Displacement" (Verschiebung) des SPV vom Pazifik her aus. Bei diesem Ereignis (gerade in Kombination mit vorherigem Minor-Warming) ist eine nachhaltige Störung bzw. Schwächung des SPV zu erwarten, womit wir schon bei den Auswirkungen sind, die uns erwarten könnten. Bei einem Major-SSW setzt sich die Störung (Erwärmung und Ostwinde, also Temperatur und Geopotenzial) mit der Zeit dynamisch von der oberen und mittleren bis in die untere Stratosphäre, schließlich bis in die Troposphäre durch (kanonisch mit der Folge hohen Luftdrucks bzw. entsprechend hohen Geopotenzials in 500 hPa im Arktisumfeld,
z.B. Grönlandblocking). Damit einher geht oft ein deutlich negativer Index der Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (AO bzw. NAO, siehe Link Wetterlexikon), wobei durch die Windumkehr bei vermehrt meridionalen Strömungsmustern arktische Luftmassen weit nach Süden vordringen. Die Fachliteratur beschreibt hierbei Eurasien gegenüber Nordamerika als bevorzugt beeinflusste Region.
Prinzipiell werden SSW-Ereignisse mittlerweile relativ gut durch die Wettermodelle erfasst (etwa ab 7 bis 9 Tage vor dem Ereignis, da die Globalmodelle bis in die Stratosphäre hinauf relativ gut aufgelöst rechnen, sowohl vertikale als auch horizontale Level). Probleme bestehen allerdings weiterhin bei der dynamischen Kopplung Stratosphäre - Troposphäre einerseits und bei der Zuordnung zu möglichen troposphärischen Strömungsmustern andererseits. Letztere weisen doch eine hohe Variabilität auf, auch abhängig vom synoptischen Muster unmittelbar vor dem SSW. Ein anderes Problem ist die Abfolge der Auswirkungen, stellen sich doch die troposphärischen Muster immer deutlich zeitlich, häufig auch räumlich versetzt um, was wiederum mit der vertikalen Ausbreitung der Wellenflüsse (von oben nach unten) zusammenhängt.
Ein SSW-Ereignis kann die troposphärische Zirkulation bis zu zwei Monate nachhaltig beeinflussen. Das kommende Major-SSW wird von den Modellen wie EZMWF und GFS bereits recht konsistent simuliert. Nun bleibt abzuwarten, wie und vor allem wann die troposphärische Reaktion auch diskret in den Modellen erscheint. Um die klassischen troposphärischen Muster in den Modellen oder Ensemble-Vorhersagen zu erkennen, ist noch etwas Geduld erforderlich.
Einzig anhand der aktuellen Streuung der Ensemble-Vorhersage für den NAO-Index (einschl. einzelner Member mit bereits NAO negativ am Ende der Vorhersagezeit von 15 Tagen) sieht man eine mögliche Entwicklung als Folge der zu erwartenden stratosphärischen Störung.
Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.02.2023
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