Der Klimawandel hat auch hierzulande die Pflanzenwelt bereits deutlich verändert, was an zeitlichen Verschiebungen der Vegetationsperioden erkennbar ist.
Zwar wollte der Winter in der ersten Märzhälfte in Deutschland noch nicht ganz klein beigeben. Selbst dem Flachland brachte er nasskaltes Wetter mit Schnee- und Graupelschauern und regional wurde es auch nochmals weiß, insbesondere ab mittlere Höhenlagen. Die Vegetation ist dennoch bereits aus ihrem Winterschlaf erwacht. Nach einer extrem milden Witterungsperiode zum Jahreswechsel und in der ersten Januarhälfte begann im deutschlandweiten Mittel die Hasel bereits am 16. Januar zu blühen, in Nordrhein-Westfalen sogar schon am 10. Januar. Damit begann der Vorfrühling ebenso wie der Erstfrühling (in dem wir uns aktuell befinden) deutlich früher als "normal", worauf im Thema des Tages vom Vortag bereits ausführlich eingegangen wurde. Aber was heißt in Zeiten der globalen Erwärmung eigentlich "normal" oder anders ausgedrückt: Haben sich die Vegetationsperioden in Folge des Klimawandels in Deutschland mittlerweile verändert? Dieser Frage wollen wir im heutigen Thema des Tages nachgehen.
Mit Fragestellungen dieser Art beschäftigt sich der Fachbereich der "Phänologie" (griechisch: "Lehre der Erscheinungen"). Die Phänologie untersucht die Entwicklung der Pflanzen und Tiere im Jahresverlauf, beispielsweise anhand der Eintrittszeiten für Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife (sog. Pflanzenphasen) unterschiedlicher Pflanzenarten.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) besitzt hierzu einen in seinem Umfang weltweit einzigartigen "Datenschatz" aus Beobachtungen, die bis weit in die Vergangenheit zurückreichen. Dazu betreibt der DWD ein dichtes Beobachtungsmessnetz, bestehend aus ca. 1100 ehrenamtlichen Jahresmeldern. Sie dokumentieren kontinuierlich die Entwicklung bestimmter Pflanzen im Umkreis von 5 Kilometern und in gleicher Höhenlage um ihren Standort und melden diese Daten zum Jahresende dem DWD. Beispielsweise beobachten sie Jahr für Jahr eine bestimmte Buche und notieren, wann diese im Frühjahr austreibt oder im Herbst ihre Blätter abwirft. Es können bis zu 168 Pflanzenphasen beobachtet werden und die Daten reichen bis 1951 zurück, an einigen Orten sogar bis ins 19. Jahrhundert.
Eine Untergruppe der Jahresmelder (zurzeit 317 Beobachter) sind zusätzlich als Sofortmelder tätig. Sie beobachten die frühesten Pflanzen, also beispielsweise die früheste Forsythie, die in ihrem Umkreis zu blühen beginnt und melden dies sofort dem DWD. Diese Daten reichen für insgesamt 83 Pflanzenphasen bis ins Jahr 1992 zurück.
Seit kurzem können auch Sie mit der Vollversion der Warnwetter-App des DWD Pflanzenmeldungen aus ihrer Region abgeben und diese mit Fotos belegen. Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Beobachtungen beim Sonntagsspaziergang oder auf dem Weg mit dem Rad zur Arbeit mit uns teilen und damit unserem einzigartigen Datensatz erweitern.
Mithilfe all dieser Beobachtungsdaten kann das Jahr in phänologische Jahreszeiten unterteilt werden, die man anschaulich mit der "Phänologischen Uhr" darstellen kann (Abb. 1 bis 3). Dazu werden im Uhrzeigersinn die zehn phänologischen Jahreszeiten Vor-, Erst- und Vollfrühling, Früh-, Hoch- und Spätsommer, Früh-, Voll- und Spätherbst sowie der phänologische Winter aufgetragen. Auf die beiden erstgenannten sind wir ja bereits eingegangen. Jede dieser Jahreszeiten wird durch eine bestimmte Leitphase eröffnet (z.B. die Haselblüte für den Vorfrühling, die Holunderblüte für den Frühsommer oder die Blattverfärbung der Stiel-Eiche für den Spätherbst). Den aktuellen Zeigerstand der Phänologischen Uhr für Ihr Bundesland im Vergleich zum vieljährigen Mittel können Sie hier abrufen.
Kommen wir nun zur Ausgangsfrage zurück, ob sich die Vegetationsperioden durch den Klimawandel in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Abbildung 1 vergleicht für Deutschland den Jahresverlauf und die Dauer der phänologischen Jahreszeiten während der Periode 1961-1990 (äußerer Ring) mit der aktuelleren Periode 1991-2020 (innerer Ring). Dabei fällt sofort auf, dass in den Jahren 1991-2020 der Vorfrühling, definiert durch den Beginn der Haselblüte, deutlich früher beginnt als in der vorherigen Periode 1961-1990. Während der Vorfrühling damals durchschnittlich erst am 3. März anklopfte, fing die Haselblüte in der neueren Periode schon mehr als zwei Wochen früher (am 14. Februar) an zu blühen. Diese Verfrühung ist auch bei den meisten anderen phänologischen Jahreszeiten erkennbar. Der Spätherbst (Blattverfärbung der Stiel-Eiche) und der Winter (Blattfall der Stiel-Eiche) haben sich aber nur geringfügig nach hinten verschoben. Vor allem bedingt durch die milder werdenden Winter ist die Vegetationsruhe (phänologischer Winter) mittlerweile deutlich kürzer (1961-1990: 120 Tage, 1991-2020: 101 Tage). Dieser Trend hin zu einem früheren Frühlingserwachen und einem zeitlich nach vorne verschobenem Sommer wird in allen Regionen Deutschlands beobachtet, sodass der Klimawandel in Deutschland längere Vegetationsperioden zur Folge hat. Es gibt jedoch regionale Unterschiede, insbesondere beim Frühlingsbeginn (Abb. 2 und 3). In Ostdeutschland beginnt der Vorfrühling üblicherweise später als im Westen. So ist in Nordrhein-Westfalen mittlerweile schon am 5. Februar und in Sachsen "erst" am 22. Februar mit dem Beginn der Haselblüte zu rechnen. Damit hat sich in Nordrhein-Westfalen die Winterruhe von 109 (1961-1990) auf 91 Tage (1991-2020) und in Sachsen von 130 auf 111 Tage verkürzt.
Diese Veränderungen sind eng mit steigenden Temperaturen verknüpft, wie man am Beispiel von Geisenheim im Rheingau eindrucksvoll erkennen kann. Diese besonders wertvolle Zeitreihe haben wir schon im gestrigen Tagesthema vorgestellt. Dort reichen sowohl phänologische als auch Wetterdaten bis Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Abbildung 4 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Beginn der Schlehenblüte und der Temperaturabweichung zum vieljährigen Mittel von Januar bis April. Wie man sieht, beginnt in der Regel die Schlehenblüte in Jahren mit negativer Temperaturabweichung später als im Mittel (in Geisenheim am 3. April) und umgekehrt. Zudem ist klar zu erkennen, dass seit den 1990ern die Schlehenblüte in Geisenheim durchschnittlich zwei bis drei Wochen früher beginnt, was ebenfalls gut mit den wärmeren Temperaturen zwischen Januar und April korreliert.
Im zweiten Teil gehen wir der Frage nach, welchen Einfluss der frühere Vegetationsbeginn auf die Wahrscheinlichkeit für Schadfröste im Obstbau hat.
Dr. rer. nat. Markus Übel/Dipl.-Met. Marco Manitta Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.03.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst