Spätfröste können an landwirtschaftlichen Kulturen erhebliche Schäden verursachen. Doch welchen Einfluss hat der Klimawandel auf das Schadfrostrisiko in Deutschland?
Die Vegetation präsentiert sich momentan farbenfroh und einige Obstbäume stehen in voller Blüte. Obstbauern und mancher Hobbygärtner verfolgen in dieser Jahreszeit besonders interessiert die Wettervorhersagen und hoffen, dass Kaltlufteinbrüche ausbleiben. Treten nämlich während der Obstblüte die gefürchteten Nachtfröste auf, können diese den Ertrag der späteren Ernte erheblich verringern. Für den Hobbygärtner ist dies lediglich ärgerlich, da er mal nicht mit seinem voll hängenden Kirschbaum beim Nachbarn prahlen oder körbeweise Früchte an Freunde und Verwandte verschenken kann. Für landwirtschaftliche Betriebe können Schadfröste allerdings erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben.
Daher erreichen den Deutschen Wetterdienst (DWD) gerade von Obst- und Weinbauern immer wieder Anfragen, inwiefern der Klimawandel einen Einfluss auf die Häufigkeit von Schadfrösten in landwirtschaftlichen Kulturen hat. In der Abteilung der Agrarmeteorologie wurde dieser Frage nachgegangen und es wird weiterhin daran geforscht. Die Ergebnisse könnten für manche Laien durchaus überraschend sein.
Sicherlich wird es die wenigsten verwundern, dass als Folge der globalen Erwärmung die Anzahl der Frosttage in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Damit kommen auch Spätfröste in den Frühjahrsmonaten immer seltener vor, wie Abbildung 1 belegt. Im Diagramm ist die Wahrscheinlichkeit von Nachtfrösten unter -2 Grad (Temperatur, ab der mit Schäden an Obstbäumen zu rechnen ist) nach dem in der x-Achse aufgetragenen Datum gezeigt. Die international gültige Referenzperiode 1961-1990 ist als blaue und die aktuellere Periode 1991-2020 als braune Kurve dargestellt. Vor allem ab April sind in der aktuelleren Periode Nachtfröste weniger wahrscheinlich geworden. Lag in den Jahren 1961-1990 die Wahrscheinlichkeit noch bei 55%, dass nach dem 10. April Temperaturen unter -2 Grad auftraten, sank die Wahrscheinlichkeit in den Jahren 1991-2020 auf 40%. Nach dem 25. April waren in der früheren Periode Nachtfröste sogar mehr dreimal so wahrscheinlich (22%) als in der neueren Periode (7%). Daher könnte man vermuten, dass auch die Wahrscheinlichkeit für Schadfröste abnimmt.
Im Thema des Tages vom 19. März dieses Jahres haben wir aber gezeigt, dass im Zuge des Klimawandels die Vegetation früher aus dem Winterschlaf erwacht und auch die darauffolgenden phänologischen Jahreszeiten verfrüht einsetzen. Früherer Blühbeginn und abnehmende Fröste stehen quasi in Konkurrenz. Die Süßkirsche beispielsweise begann früher durchschnittlich erst am 26. April zu blühen, in der aktuelleren Periode aber schon am 17. April. Abb. 1 zeigt, dass zwischen 1961 und 1990 die Wahrscheinlichkeit nur bei 19% lag, dass nach dem 26. April Frost unter -2 Grad auftrat. Mit dem früheren Blühbeginn (17. April) im Zeitraum 1991-2020 beträgt die Wahrscheinlichkeit für Schadfröste nach diesem Datum allerdings noch 27%. Paradoxerweise hat also in Deutschland das Schadfrostrisiko bei Süßkirschen trotz der Abnahme von Spätfrösten durch den früheren Blühbeginn zugenommen.
Es gibt aber regionale Unterschiede (Abbildung 2). Auf der linken Karte ist die Wahrscheinlichkeit von Schadfrösten zum Beginn der Süßkirschenblüte in der Periode 1961-1990 und in der mittleren Karte die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten zwischen 1991-2020 gezeigt. Die rechte Karte verdeutlicht die Veränderung zwischen beiden Zeiträumen. Vor allem in der Mitte und im Südwesten liegt die Wahrscheinlichkeit mittlerweile bei über 30%, dass nach Beginn der Kirschblüte noch Nachtfröste unter -2 Grad auftreten. Anders ausgedrückt: Durchschnittlich in jedem dritten Jahr kann es dort zu Schadfrösten kommen. Vor allem im Südwesten ist das Schadfrostrisiko deutlich gestiegen, weil dort die Kirschblüte schon in der ersten Aprilwoche einsetzt. Zu dieser Zeit gibt es noch relativ häufig Nachtfröste. Im Osten ist das Risiko hingegen gesunken, da dort die Anzahl der Frosttage deutlich zurückging, während sich der Blühbeginn weniger stark verschoben hat.
Bei der Apfelblüte nahm das Schadfrostrisiko fast bundesweit zu (Abb. 3). Aufgrund des deutlich späteren Blühbeginns waren früher Frostschäden an Apfelblüten kaum ein Thema, die Wahrscheinlichkeit lag deutschlandweit bei unter 5%. Mit dem früheren Blühbeginn der Apfelbäume nahm das Risiko von Schadfrösten in der südlichen Mitte und im Südwesten auf 10-15% zu, sodass in dieser Periode etwa alle 7 bis 10 Jahre mit Schäden an Obstbäumen zu rechnen war. Insbesondere in der für den Apfelanbau bedeutsamen Bodenseeregion sowie am Hochrhein ist der stärkste Anstieg des Schadfrostrisikos zu verzeichnen (>15%).
Beim Weinanbau wird ein ähnlicher Trend beobachtet, wie exemplarisch die Zeitreihe von Geisenheim (Rheingau) zeigt (Abb. 4). In Dunkelblau sind die Jahre dargestellt, in denen es nach dem Austrieb der Reben noch zu Temperuren unter 1 Grad kam. Die hier verwendete höhere Temperatur ist der Tatsache geschuldet, dass Weinreben besonders empfindlich sind und in einem Meter Höhe wachsen, wo es in klaren Nächten meist kälter ist als in zwei Metern Höhe (offizielle Messhöhe der Lufttemperatur). Kam es früher eher selten zu Schadfrösten, nahm die Häufigkeit in den letzten Jahren erkennbar zu.
Und wie geht es in der Zukunft weiter?
An dieser Frage wird beim DWD aktuell noch intensiv geforscht, ebenso wie an der Untersuchung von weiteren landwirtschaftlichen Kulturen. Bei der Süßkirsche ist zu befürchten, dass in Ostdeutschland nach einem vorübergehend gesunkenem Schadfrostrisiko in Zukunft ebenfalls ein Anstieg zu erwarten ist, da auch dort die Blüte immer früher einsetzen wird. Im Südwesten ist die Vorhersage schwieriger, da einerseits die Spätfröste weiter abnehmen werden, die Bäume aber nicht unbegrenzt früh austreiben können. Dadurch könnte nach dem beobachteten Anstieg das Schadfrostrisiko in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise wieder sinken. Zum Leidwesen von Landwirten und Hobbygärtnern wird es aber auch in Zukunft Schäden durch Spätfröste geben und möglicherweise ist es auch sinnvoll, manche landwirtschaftliche Anbaugebiete in andere Regionen Deutschlands zu verlagern.
Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.04.2023
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