Die meisten werden den diesjährigen April wohl in keiner guten Erinnerung behalten. Bezüglich der Mittelwerte von 1961-1990 verlief der Monat aber recht durchschnittlich. Führt uns unser Gefühl etwa in die Irre? Nun, es kommt auf die Betrachtungsweise an.
Irgendwie haben die meisten Bundesbürger - der Autor dieses Textes eingeschlossen - das Gefühl, dass in diesem Jahr der Frühling nicht so recht in die Gänge kommen mag. Zwei Drittel des (meteorologischen) Frühlings sind schon vorbei. Die Tage, an denen man am Nachmittag bei Sonnenschein mit T-Shirt im Freien einen leckeren Eisbecher genießen oder abends bei angenehmen Temperaturen grillen konnte, kann man aber an einer Hand abzählen. Vor allem vom April haben wohl die meisten den Eindruck, dass er viel zu kühl, regenreich und eher trüb war.
Vergleicht man die Monatsmittelwerte von Temperatur, Sonnenschein und Niederschlag hingegen mit der klimatologischen Referenzperiode 1961-1990, so erhält man ein anderes Bild. Demnach war der April 2023 eigentlich ziemlich durchschnittlich (siehe auch Pressemitteilung zum April 2023). Mit einer Monatsmitteltemperatur von 7,5 Grad war der Monat sogar geringfügig zu mild (Abweichung: +0,2 Grad). Auch bezüglich des Sonnenscheins wurde das klimatologische Mittel fast exakt getroffen, mit 151 Sonnenstunden wurden 98% des Klimamittels (154 Stunden) erreicht. Sonderlich regenreich war der Monat auch nicht. Zwar fiel im deutschlandweiten Mittel mit 63,3 mm etwas mehr Niederschlag als im Mittel (58,2 mm), die Abweichung betrug aber nur 9%.
Hat uns unser persönlicher Eindruck also derart in die Irre geführt? Nicht unbedingt! Im Zuge der Klimaveränderung haben sich die klimatischen Bedingungen bei uns in Deutschland in allen Monaten verändert, ganz besonders aber im April (weiterführende Infos im beigefügten Link). Vergleicht man den diesjährigen April mit der neueren Referenzperiode 1991-2020 (blau gestrichelte Linie in den Abbildungen), die eher dem "gefühlten Durchschnitt" entspricht, kommt man zu einem anderen Schluss. Demnach war der Monat mit einer Abweichung von -1,4 Grad signifikant zu kalt (Mittel 1991-2020: 9,0 Grad), deutlich zu nass (Abweichung 42% vom Mittel: 44,7 mm) und auch deutlich zu sonnenscheinarm (Abweichung -17,5% vom Mittel: 183 Sonnenstunden). Es kommt also auf die Wahl der Referenzperiode an, mit dem man den Monat vergleicht.
Generell sollen Klimareferenzperioden ermöglichen, den aktuellen Witterungszustand sowohl zum gegenwärtigen Klimazustand einer Region als auch zur langfristigen Entwicklung des Klimas in der Region in Beziehung zu setzen. In einem stabilen Klima können diese beiden Zwecke durch eine gemeinsame Referenzperiode erfüllt werden. Gemäß den Empfehlungen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ist es üblich, zur Erfassung des Klimas und seiner Änderungen Mittelwerte über einen Zeitraum von 30 Jahren zu bilden. Hierfür kam in der Vergangenheit häufig der Zeitraum 1961 bis 1990 zum Einsatz. Da Klimaelemente wie Temperatur, Sonnenstunden und Niederschlag aufgrund des anthropogenen Klimawandels allerdings einen konsistenten Trend aufweisen, ist für eine statistische Beschreibung des aktuellen Klimas die neuere Klimanormalperiode 1991-2020 vorzuziehen. Die klimatischen Bedingungen dieses Zeitraums entsprechen auch dem "erlebten" Klima der Bevölkerung, weshalb der Mittelungszeitraum 1991-2020 deutlich besser geeignet ist, einen aktuellen Monat einzuordnen. Andererseits ist es für die Betrachtung der langfristigen Entwicklung des Klimas sinnvoll, eine feste Standardperiode als Referenzpunkt zu nutzen, die einen mittleren Zustand des Klimas im Untersuchungszeitraum abbildet. Wenn zum Beispiel die Temperaturentwicklung in Deutschland seit 1881 relativ zu 1991-2020 betrachtet wird, erscheinen fast alle Jahre dieser Zeitreihe als "zu kühl", auch relativ warme Jahre.
Da mit einer Klimareferenzperiode folglich nicht mehr alle Anforderungen erfüllt werden können, empfiehlt die WMO die Nutzung von zwei Bezugszeiträumen:
1) Für die Bewertung langfristiger Klimaentwicklungen wird die WMO-Referenzperiode 1961-1990 beibehalten, da dieser Zeitraum nur zum Teil von der aktuell zu beobachteten beschleunigten Erwärmung betroffen ist.
2) Für Aufgaben des Klimamonitorings, wie z.B. monatliche, saisonale oder jährliche Anomalienkarten, die nicht auf die Überwachung des längerfristigen Klimawandels ausgerichtet sind, sowie als Basis für Klimavorhersagen, werden die Klimanormalperioden zukünftig alle zehn Jahre aktualisiert.
Der DWD setzt diese Empfehlungen um und verwendet für Auswertungen im Zusammenhang des längerfristigen Klimawandels weiterhin den Zeitraum 1961-1990 als Klimanormalperiode. Im Kontext des zeitnahen Klimamonitorings wird daneben die aktuelle Referenzperiode 1991-2020 eingesetzt.
Kommen wir abschließend nochmal auf den diesjährigen April 2023 zurück, so kann man zusammenfassend also feststellen, dass der Monat vor 40 oder 50 Jahren völlig normal gewesen wäre, quasi ein "April, wie er früher einmal war". Im Vergleich zu den klimatischen Bedingungen der letzten Jahrzehnte hingegen war er signifikant zu kühl, sonnenscheinarm und zu nass. Unser Gefühl hat uns also doch nicht getäuscht.
Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 03.05.2023
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