Heute erklären wir den Weg von einer groben Wettereinschätzung hin zur Gemeinde-genauen Warnung.
Im Tagesthema vom 07. Oktober wurde erklärt, dass (Un)Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für unterschiedlichste Zielgruppen relevant sein können. Heute geht es darum, inwieweit die hohen Anforderungen erfüllt werden können, die viele Kunden an diese Warnungen stellen.
Zusammengefasst sollte die Bevölkerung frühzeitig, präzise und ortsgenau vor Wettergefahren informiert werden. Frühzeitig, damit Großveranstalter sowie Privatpersonen rechtzeitig Schutzvorkehrungen treffen können. Steht der Keller von Michael Nassfuß (Name fiktiv) bereits unter Wasser, hilft ihm eine Starkregenwarnung nichts mehr. Präzise, denn Aussagen wie "es wird stürmisch" oder "es schneit kräftig" reichen nicht aus. So könnte man sich unter der ersten Aussage stürmische Böen (um 65 km/h) oder schwere Sturmböen (um 100 km/h) vorstellen. Würden bei ersterem nur Äste von Bäumen abbrechen, können bei schweren Sturmböen Bäume umstürzen und Häuser beschädigt werden. Zuletzt ist wichtig, WANN und WO mit gefährlichem Wetter zu rechnen ist. Schneit es nur oberhalb von 800 m oder bis in die Niederungen? Welche Orte werden vom Gewitter mit Hagel und Sturmböen erfasst?
Vielleicht ahnen Sie bereits, dass die "perfekte Warnung", die alle drei Anforderungen optimal erfüllt, kaum möglich ist. Dies veranschaulicht beigefügte Grafik. Liegt das Wetterereignis noch viele Tage in der Zukunft, ist die Unsicherheit groß, die Präzision und Regionalisierung gering. Oft sind mehrere Tage im Voraus noch unklar, wie stark der vorhergesagte Sturm ausfällt, wohin er genau zieht oder ob er überhaupt eintritt. Kurz vor Eintreffen des Unwetters kann es zwar genau lokalisiert und dessen Stärke sicher und präzise vorhergesagt werden, für eine Warnung wäre es aber möglicherweise schon zu spät. Wie geht der DWD mit diesem Dilemma um?
Die Lösung ist ein dreigliedriges Warnsystem. In Phase 1, der sogenannten "Wochenvorhersage Wettergefahren" werden mögliche Wettergefahren der kommenden 7 Tage aufgeführt. Mithilfe der Ergebnisse aus Vorhersagemodellen analysiert der
Mittelfristmeteorologe, wie sich die Wetterlage im Laufe der kommenden Woche entwickelt und welche Wettergefahren möglicherweise zu erwarten sind. Zur Beurteilung der Unsicherheit der Wettervorhersage, sichtet er gleich mehrere Modelle verschiedener Wetterdienste. Sagt beispielsweise das eine Modell in sechs Tagen eine schwere Sturmlage vorher und ein zweites Modell eine ruhige Hochdrucklage, so ist die Vorhersage offenbar noch sehr unsicher. Zusätzlich werden sogenannte Ensembleprognosen betrachtet. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl von Vorhersagen des gleichen Modells mit leicht variierenden Anfangsbedingungen. Je stärker sich die einzelnen Prognosen unterscheiden, desto unsicherer ist die Prognose. Die "Wettervorhersage Wettergefahren" liefert also frühzeitig Informationen und Wahrscheinlichkeitsaussagen zu warnwürdigen Wetterereignissen, präzise und ortsgenau sind diese aber noch nicht.
Maximal zwei Tage (in der Regel aber 24 Stunden) vor dem Wetterereignis beginnt Phase 2, die sogenannten "regionalen Warnlageberichte". Diese enthalten die erwarteten Wettergefahren für jedes Bundesland. Nun stehen den Meteorologen hochaufgelöste Vorhersagemodelle zur Verfügung, mit denen die Intensität möglicher Wetterereignisse meist schon relativ präzise beurteilt und lokalisiert werden können. Dennoch spielen
Wahrscheinlichkeitsaussagen weiterhin eine wichtige Rolle. Erwarten wir eine überörtliche Unwetterlage, wird zusätzlich zu den Warnlageberichten etwa 12 bis 24 Stunden im Voraus eine "Vorabinformation Unwetter" (rot schraffierte Gebiete auf der Warnkarte) sowie ein Unwetterclip erstellt, beides zu finden auf der DWD-Homepage oder in der WarnWetter-App.
Die letzte Phase ist die "Gemeinde-genaue (Un)Wetterwarnung", in denen nun konkrete Angaben zur Stärke und Dauer der Wettergefahr gemacht werden. Der Zeitpunkt der Ausgabe hängt allerdings vom Wetterereignis ab. Bei einer relativ sicher eintretenden großräumigen Sturmlage werden Warnungen bis zu 24 Stunden im Voraus ausgegeben. Bei kleinräumigen Ereignissen (z.B. Gewitter) ist dies allerdings nicht möglich. Eine Gemeinde-genaue Gewitterwarnung kann erst einige Minuten bis etwa eine Stunde vor Eintreffen erfolgen. Sie ist präzise und ortsgenau, aber nicht mehr unbedingt frühzeitig.
Zum Schluss machen wir die Funktionsweise des dreigliedrigen Warnsystems an einem Beispiel deutlich. Der Veranstalter eines großen Volksfestes im Sommer kann bei Beachtung der ?Wochenvorhersage Wettergefahren? sich bereits Tage zuvor auf eine mögliche gefährliche Gewitterlage einstellen. Am Vortag erhält er durch die ?Warnlageberichte? und eine mögliche ?Vorabinformation? genauere Informationen über potentielle Wettergefahren und kann Personal bereitstellen oder sonstige Vorkehrungen für einen Notfall treffen. Die eigentliche Gewitterwarnung hilft ihm letztendlich bei der Entscheidung zur Evakuierung des Festivalgeländes.
Auch wenn jede dieser drei Phasen für sich gesehen unzureichend wären, kommt man mit deren Kombination den Anforderungen an eine "perfekte Warnung" bestmöglich heran.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.10.2023
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