Historische Wetterkarten Teil 1 - Internationaler Dekadenbericht


In einer unregelmäßigen Serie zu historischen Wetterkarten starten wir heute mit dem ersten Internationalen Dekadenbericht der Deutschen Seewarte aus dem Juli 1900.


Im Jahr 1900 startete die Deutsche Seewarte an den Landungsbrücken in Hamburg mit der Herausgabe des Internationalen Dekadenberichts. Wir werfen heute einen Blick auf die Ausgabe Nummer 1 aus Jahrgang 1. Doch bevor wir uns diesem Schriftstück widmen, ein kleiner Rückblick auf das letzte Jahr des 19. Jahrhunderts. Damals wie auch im Sommer 2024 blickte die Welt nach Paris. Nicht nur fanden dort im Jahr 1900 über 5 Monate hinweg die 2. Olympischen Spiel der Neuzeit statt, von April bis November öffnete in der französischen Hauptstadt die Weltausstellung ihre Tore. Zu bestaunen gab es damals unter anderem die Rolltreppe, den Tonfilm oder den Dieselmotor. Fortbewegen konnte man sich erstmals mit der Pariser Metro. Der 8. September 1900 ist dagegen mit einem tragischen Ereignis verknüpft. Ein Hurrikan der zweithöchsten Kategorie Vier traf auf die texanische Küstenstadt Galveston und zerstörte sie zu großen Teilen. Geschätzt 8.000 Menschen, ein Fünftel der damaligen Einwohner, starben an den Folgen des Hurrikans.

Doch nun zum Schriftstück des heutigen Tages. Der erste Teil des Berichts (Bild 1) widmet sich im oberen Teil der Seite der mittleren Druckverteilung und der Temperaturabweichung in einem Gebiet, das sich etwa vom Ural im Osten bis an die Westküste Nordamerikas erstreckt. Zu sehen sind Gebiete mit über-, normaler und unterdurchschnittlicher Temperatur. Zudem sind die Linien gleichen Luftdrucks, die Isobaren, eingezeichnet. Die Werte mögen auf den ersten Blick irritieren, sind wir heute doch Zahlen zwischen 960 und 1060 hPa gewöhnt. Auf der Karte stehen jedoch Werte nahe 760. Gemeint sind 760 mm Höhe und zwar die Höhe der Quecksilbersäule eines gleichnamigen Barometers. Über Jahrhunderte wurde der Luftdruck nämlich über sogenannte Quecksilber-Barometer bestimmt. Auf Meeresniveau führt der Luftdruck in einem Quecksilberthermometer zu einer Quecksilbersäule mit einer Höhe von 760 mm. Dies entspricht einem Druck von 1013,2 hPa. Die Isobarenabstände von 5 mm entsprechen somit etwa 6,7 hPa Unterschied. Anfang Juli 1900 war das Azorenhoch demnach gut ausgeprägt und im Deutschen Kaiserreich herrschte eine kühle Witterung.

Doch wie kamen die "Wetterfrösche" damals ohne Wettermodelle und Satelliten zu ihrer Erkenntnis. Auf dem unteren Teil der Seite 1 sind Beobachtungen deutscher Dampfschiffe auf ihrem Weg zwischen dem Ärmelkanal und Nordamerika oder in der Gegenrichtung verzeichnet. Die Schiffbeobachtungen beinhalten als obere Zahl den Luftdruck und als untere eingeklammerte Zahl die Wassertemperatur und als Windfieder die Windrichtung und -geschwindigkeit. Jedes Schiff meldete dabei täglich nicht nur diese Werte, sondern auch seine Position. Anhand der Grafik lassen sich somit nicht nur die Druckverläufe auf einem Schiff, sondern auch der Druck auf einem bestimmten Längengrad im Verlauf der Zeit ablesen. Beispiel: Die "Kaiser Maria Theresia" verließ am 5. Juli den Ärmelkanal nach Westen bei einem Druck von 968 mm und einer Wassertemperatur von 16 Grad Celsius. Bis zum 10. Juli kam sie auf 60 Grad westlicher Breite voran. Dort meldete sie einen Druck von 959 mm und eine Wassertemperatur von 20 Grad und einem kräftigen südsüdwestlichen Wind. Die typischen Dampferrouten jener Zeit findet man auf der oberen Grafik als gepunktete (15.08 bis 14.01.) bzw. gestrichelte Linie (15.01. bis 14.08.). Die unterschiedliche Routenführung je nach Jahreszeit ist der Ausdehnung möglicher Eisberge geschuldet. Eine Erklärung des damaligen Verfassers zur Grafik der Schiffsbeobachtungen finden sich auf Seite 2 (Bild 2) unten.

Auf Seite 2 gibt es aber nicht nur eine Erklärung zu sehen, es gibt auch eine umfangreiche Tabelle mit Werten zum Luftdruck, der Temperatur und des Niederschlags in der ersten Julidekade zahlreicher Städte. Die Städte reichen dabei mit San Francisco an der US-amerikanischen Westküste über das anfangs erwähnte Galveston am Golf von Mexiko und das beschauliche Keitum auf Sylt bis zu Vladivostok im Osten Russlands am Japanischen Meer. Aufgetragen sind jeweils der beobachtete Wert und der Normalwert von Luftdruck, Temperatur und Niederschlag. Zu erkennen ist beispielsweise die kühle Witterung in Mitteleuropa und überdurchschnittlich warmes Wetter am Schwarzen Meer (Odessa).

Die gezeigten Grafiken und noch viele weitere Veröffentlichungen unterschiedlichen Alters finden Sie frei zugänglich in der digitalen Literatursammlung des DWD, kurz: DWDbib: https://dwdbib.dwd.de/

MSc.-Met. Thore Hansen

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.08.2024

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