"Borkum-Twins" und "Wykinger"

Am vergangenen Donnerstag entwickelten sich über der Nordsee vier Wasserhosen, die teilweise an Land zogen und dort für ordentlich Trubel sorgten. Mehr dazu im heutigen Thema des Tages.

Am späten Vormittag des vergangenen Donnerstags (08.08.2024) erreichte die Tornadoexpertengruppe des DWD ein beeindruckendes Video aus Borkum, auf dem zwei, nur wenige Meter breite Wasserhosen kurz nacheinander vom Watt über den Strand auf die Promenade zogen und sich rasch wieder auflösten (bei Interesse durch entsprechende Sucheingabe im Netz leicht zu finden). Dabei wurden Strandkörbe durch die Gegend gewirbelt und Stühle auf der Promenade förmlich in die Höhe katapultiert. Glücklicherweise soll es keine Verletzten gegeben haben, obwohl zu dem Zeitpunkt schon einige Leute am Strand unterwegs waren. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn einer der durch die Luft gewirbelten Strandkörbe einen Menschen getroffen hätte.

Die Tornados wurden gemäß der internationalen Fujitaskala (kurz: IF) als IF0 und IF0.5 eingestuft und damit im untersten beziehungsweise schwächsten Bereich der bis IF5 reichenden Skala. Die Einordnung erfolgt anhand der aufgetretenen Schäden, die anschließend eine Abschätzung der aufgetretenen Windgeschwindigkeit erlaubt. Diese liegt bei einem IF0-Tornado in der Größenordnung von etwa 90 km/h. Bei einem IF0.5 sind es bereits rund 120 km/h, womit man sich im Orkanbereich bewegt. Das relativiert dann schnell das Wörtchen "schwach" im Zusammenhang mit den "Borkum-Twins", auch wenn man von starken Tornados erst ab der Stufe IF2 spricht (um 220 km/h). Nur der Vollständigkeit halber: Bei einem IF5 bewegt man sich in Geschwindigkeitsbereichen deutlich jenseits von 400 km/h. Näheres zur IF-Skala finden Sie im Thema des Tages vom 11.04.2024.

Die beiden Tornados entstanden über dem rund 21 Grad warmem Nordseewasser im Zusammenhang mit einer Schauerlinie, die gegen 10 Uhr über Borkum ostwärts hinweg zog. Auch in Wyk auf Föhr kam es vormittags zu zwei Wasserhosen (Stärke IF0.5). Die beiden "Wykinger" zogen ebenfalls auf den Strand und wehten dort Strandkörbe um. Zwei weitere Verdachtsfälle wurden zudem vor Langeoog gemeldet. Ob die beiden Wirbel aber ebenfalls den Boden beziehungsweise das Wasser erreichten, ist bisher nicht bekannt. Damit gab es in diesem Jahr bisher 27 Tornados in Deutschland, wobei der August im Mittel der Wasserhosenmonat schlechthin ist. Über 40 % der Wasserhosen treten durchschnittlich im August auf. Mehr zum Jahresgang der Tornadoaktivität in Deutschland und generell zur bisherigen Bilanz finden Sie im Thema des Tages vom 18.07.2024.

Wie Sie sicherlich schon gemerkt haben, zählen Wasserhosen zur Familie der Tornados und können damit auch als Tornado bezeichnet werden. Genaugenommen zählen Wasserhosen zu den sogenannten Typ-2-Tornados. Diese entwickeln sich an einer Schauer- oder Gewitterzelle im Umfeld geringer Geschwindigkeitsscherung, das heißt, die Windgeschwindigkeit darf mit der Höhe allenfalls nur schwach zunehmen. Zusätzlich benötigt man einen hohen vertikalen Temperaturgradienten, die Temperatur muss also mit der Höhe stark abnehmen. Entwickelt sich nun in Bodennähe noch ein konvergentes Windfeld (Bereich in dem die Luft zusammenströmt), wird die Luft gezwungen, aufzusteigen, was zur Bildung eines Tornados führen kann. Alle Bedingungen waren bei den jüngsten Fällen über der Nordsee gegeben: Rund 21 Grad warmes Wasser gepaart mit höhenkalter Luft, dazu ein mit Durchgang der Schauerlinie sprunghaft von Südwest auf West bis Nordwest drehender Wind.

Unter einem Typ-1-Tornado versteht man dagegen den "klassischen" Tornado, der sich an der Unterseite einer rotierenden Schauer- oder Gewitterzelle bildet. Dafür ist vor allem eine hohe Windscherung, also eine starke Zunahme und Drehung des Windes mit der Höhe notwendig. Ist die bodennahe Luft nun noch sehr feucht und die Wolkenuntergrenze niedrig, sind alle Bedingungen für die Entwicklung eines Tornados gegeben.

Auch wenn Typ-2-Tornados in der Regel schwächer als ihre Typ-1-Kollegen sind, sind sie trotzdem gefährlich, wie man besonders auf Borkum gesehen hat. Im Jahresmittel treten in Deutschland übrigens 45 Tornados auf. Mit bisher 27 Stück liegen wir dabei derzeit voll im Soll. Sicherlich wird noch der ein oder andere Tornado dazukommen, sei es als Neuentwicklung oder durch die nachträgliche Bestätigung einer der zahlreichen, noch nicht näher untersuchten Verdachtsfälle. Die Chancen auf ein mindestens durchschnittliches Tornadojahr stehen also nicht schlecht.


Dipl.-Met. Tobias Reinartz

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.08.2024

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