Muren haben in den vergangenen Wochen und Monaten einige Orte im Alpenraum heimgesucht. Grund genug, einen näheren Blick auf Ursachen und Auswirkungen zu werfen.
Auch wenn es die aktuellen spätsommerlichen Witterungsbedingungen in Mitteleuropa nicht unbedingt erwarten lassen, aber der diesjährige Sommer geht zwangsläufig in den nächsten Wochen langsam seinem Ende zu. Daher bietet sich an, die letzten Monate bezüglich der aufgetretenen Wettergefahren Revue passieren zu lassen. Eine vollständige Auflistung würde natürlich den Rahmen eines Themas des Tages sprengen, aber eine "Unwetterart" ist doch besonders in Erinnerung geblieben: die intensiven Starkregenereignisse mit nachfolgenden Muren ("Schlammlawinen") im Alpenraum. Führt man eine Standardsuche im Internet durch, werden eine Vielzahl von aktuellen oder wenigen Wochen alten Presseberichten über Vermurungen von Siedlungsbereichen und landwirtschaftlichen Flächen sowie zerstörte Infrastruktur aufgeführt - und zwar in fast allen Regionen der Alpen.
Für (extremen) Starkregen müssen im Grunde zwei atmosphärische Faktoren zusammenkommen: eine Luftmasse mit hohen absoluten Feuchtewerten und sich kaum oder nur langsam verlagernde Schauer- oder Gewitterzellen. Dabei gilt die Grundregel, dass bei höheren Temperaturen auch ein höherer absoluter Feuchtegehalt der Luftsäule erreicht werden kann. Die in den letzten Wochen im Alpenraum wetterbestimmende sehr warme und feuchte Mittelmeerluft ist daher prädestiniert für solche Starkregenereignisse. Dazu kommt, dass die Höhenströmung ausgesprochen gering war und sich somit entstandene Gewitter kaum fortbewegten. In den Alpen kommt aber noch der topographische Effekt gefahrenerhöhend hinzu. Während sich im Flachland der Regen auf der gesamten betroffenen Fläche verteilen kann und der Abfluss von Bodennutzung und -versiegelung sowie Größe und Zustand der Entwässerungsgerinne abhängig ist, mündet der gesamte gefallene Regen im Einzugsgebiet eines Tales im meistens einzigen Bach. Die Bäche der Seitentäler haben außerdem relativ kleine Einzugsgebiete und reagieren daher besonders stark auf extreme Niederschlagsereignisse.
Überschreitet nun die Regenmenge einen kritischen Wert, der vom Zustand der Oberfläche und der genauen Topographie sowie von der Geländeneigung abhängig ist, geraten das Geröll, die Erde und weitere Vegetationsbestandteile (z.B. Bäume) mit Hilfe des Wassers in einen fließenden Zustand. Ein Strom aus Schlamm und gröberem Gesteinsmaterial ergießt sich nachfolgend der Gravitation folgend (Umwandlung von potentieller in kinetische Energie) das Tal hinab. Dabei wirken die kleineren Steine und der Schlamm als "Kugellager" für die unter Umständen sehr großen Gesteinsbrocken, die dann erheblichen Schaden anrichten können. Auch große Hagelmassen bewirken einen ähnlichen Effekt. Muren können bei entsprechendem Gefälle eine hohe kinetische Energie bzw. Geschwindigkeit aufbauen, die auch bei nachlassendem Gefälle nur langsam abgebaut wird. Somit geht nach der Einmündung eines Seitentals auch im Haupttal eine erhebliche Gefahr einher. Da das Entwässerungsgerinne nicht auf so hohe transportierte Mengen ausgelegt ist, verlässt die Mure meistens das Bachbett und gefährdet somit die angrenzenden Häuser und Brücken sowie die sonstige Infrastruktur. Kommen sehr hohe Gesteinsmengen mit großen Blöcken in Bewegung, sind selbst Totalzerstörungen von Gebäuden möglich. Vor drei Jahren betraf es beispielsweise die Bob- und Rodelbahn am Königsee. Die damaligen Schäden waren so groß, dass die Eisbahn voraussichtlich erst im nächsten Jahr wieder in Betrieb gehen kann.
Leider sind die zu Muren führenden Starkregenereignisse trotz hoch aufgelöster Wettermodelle nicht exakt mit Zeit und Ort vorhersagbar. Beispielsweise können nur wenige 100 m entscheidend sein, ob sich eine Gewitterzelle diesseits oder jenseits eines Kammes abregnet - mit entsprechend unterschiedlichen Einzugsgebieten. Auch ist es möglich, dass es am schlussendlichen, weiter entfernten Schadensort sogar trocken bleibt und die Gefahr nur durch genaue Betrachtung der Radarbilder abgeschätzt werden kann. Allerdings lassen sich mittlerweile jene Tage mit erhöhtem Starkregenpotential sehr gut abschätzen und die Bevölkerung mit ein paar Stunden Vorlauf sensibilisieren. In besonders gefährdeten Gebieten gibt es mittlerweile auch teilautomatisierte Frühwarnsysteme, die auf die aktuellen Wetterparameter reagieren. Außerdem wird viel in technische Schutzbauten (beispielsweise Geröllsperren, Rückhaltebecken und Ablenkbauwerke) investiert.
Die seit Jahrzehnten beobachtete Tendenz zu höheren Temperaturen geht auch mit einem höheren Wassergehalt der Luftsäule einher. Bei entsprechenden Wetterlagen wird sich daher auch die Frequenz solcher Starkregenereignisse erhöhen. Damit gehen natürlich auch steigende Anforderungen an (Wetter-) Vorhersage und die Planung von Schutzbauten einher.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 01.09.2024
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