Hagel - Von Modelldaten zum "Alle Mann in Deckung!"


Insbesondere in Bezug auf Wettergefahren sind Vorhersagen und daraus resultierende Warnungen für die Allgemeinheit unerlässlich. Im Zuge der Gewitterwarnungen wird auch das mögliche Auftreten von Hagel einbezogen. Je dynamischer sich eine Wetterlage darstellt, umso schwieriger ist es aber, kurzfristig genaue Aussagen zum Verlauf des Wetters zu treffen. Zusätzlich ist Hagel kein weitreichendes Phänomen, sondern tritt im Regelfall kleinräumig und kurzzeitig auf. Die genaue Vorhersage von Größe und Menge des Hagels kann daher schnell zur Herausforderung werden.


Die Grundlage jeder Vorhersage bildet das numerische Wettermodell. Dafür braucht es ein möglichst genaues Abbild des Ist-Zustandes, das anhand von Beobachtungsdaten von Wetterstationen, Satelliten oder den Wetterradaren entsteht. Basierend auf diesen Eingangsdaten wird vom Modell die mögliche Wetterentwicklung in den nächsten Stunden und Tagen simuliert. Da die Erstellung solcher Prognosen aufgrund der riesigen Datenmengen allerdings einiges an Zeit benötigt, laufen die Modelle nicht ununterbrochen, sondern folgen festgelegten Uhrzeiten. Um diese Zeiten jedoch einhalten zu können, müssen die physikalischen Gleichungen, auf denen die Wettermodelle basieren, vereinfacht werden. Auch kleine Änderungen im Anfangszustand einer Wetterlage können aufgrund der hohen Variabilität allerdings große Änderungen in der Prognose bewirken, sodass das "Endprodukt" ständig variiert. Diese Modellläufe werden von Meteorologen analysiert und daraus entsteht die Vorhersage.
Da Hagel als Begleiterscheinung von Gewittern auftritt, benötigt man für seine Vorhersage zunächst einmal eine Gewittervorhersage. Dafür wird auf die sogenannte "Zutatenmethode" zurückgegriffen. Wie bei einem Kochrezept sind "Grundzutaten" notwendig, damit Gewitter entstehen können. Die drei "Hauptzutaten" für Gewitter sind Labilität, Feuchtigkeit und Hebung.
Entscheidend für die "Zutat" Labilität, also die Instabilität der Luftmasse, ist die Abnahme der Temperatur mit der Höhe. Je schneller sich die Umgebungsluft mit der Höhe abkühlt, desto größer ist der Temperaturunterschied zu einem aufsteigenden vergleichsweise warmen Luftpaket. Nimmt die Temperatur der Umgebungsluft also mit der Höhe sehr stark ab, spricht man von einer labilen Schichtung. Um möglichst große Eiskörner in der Luft zu halten, ist viel Labilität notwendig. Denn je wärmer ein Luftpaket im Vergleich zu seiner Umgebung ist, desto schneller steigt es in die Höhe. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass kalte Luft schwerer ist als warme Luft. Die zweite Zutat ist die Feuchtigkeit. Diese ist nötig, damit sich Wolken, Niederschlag und Gewitter überhaupt erst bilden können. Das liegt auf der Hand. Allerdings ist nicht nur die Feuchte der Luft in Bodennähe, also dem Ursprung eines aufsteigenden Luftpakets, wichtig. Auch weiter oben in der Atmosphäre muss ausreichend Feuchte vorhanden sein, da die Wolken sonst beginnen zu verdunsten.
Ein Maß, dessen Stärke die ersten beiden Zutaten berücksichtigt, ist die sogenannte Labilitätsenergie - CAPE (Convective Available Potential Energy). Je größer die CAPE-Werte sind, desto höher ist der Auftrieb und damit die Kraft, um Eiskörner in der Luft zu halten. Die dritte Zutat "Hebung" kann verschiedene Ursachen haben. Neben der Orografie können Fronten oder (Wind-)Konvergenzen dafür sorgen, dass die Luftpakete vom Boden aus zum Aufsteigen gezwungen werden. Diese drei Gewitterzutaten alleine reichen aber noch nicht aus, um große Hagelkörner zu bilden und in der Luft zu halten. Dafür ist eine weitere Komponente ausschlaggebend - die Windscherung. Unter Windscherung versteht man die Änderung des Windes mit der Höhe in Stärke und Richtung. Bei größerer Windscherung können sich sogenannte Superzellen ausbilden, rotierende Gewitterwolken. Solche rotierenden Superzellen erzeugen viel stärkere Aufwinde als nicht-rotierende Gewitter. Im Kernbereich können die Windgeschwindigkeiten über 100 km/h betragen. Diese sind notwendig, um Hagelkörner so lange in der Luft zu halten, dass sie auf eine Größe von mehreren Zentimetern anwachsen können.
Neben Labilitätsenergie, Hebung und Windscherung spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Zusätzlich zu einer möglichst niedrigen Nullgradgrenze ist dies auch möglichst viel Feuchtigkeit in der Schicht, wo der Hagel anwächst.
Diese notwendigen Vorhersageparameter können aus den Simulationen der Vorhersagemodelle abgeleitet werden. Der Meteorologe bewertet deren Ausprägung, um daraus eine Aussage für die zu erwartende Wahrscheinlichkeiten für Hagel bzw. großen Hagel abzuleiten. Auf Basis dieser Wahrscheinlichkeiten werden dann auch die entsprechenden Warnungen angepasst.
Die Vorhersage des Gewitter- und Hagelpotenzials ist das eine, sind die Gewitter einmal entstanden, folgt die Beobachtung und Bewertung von aktiven Gewitterzellen - das sogenannte Nowcasting.

Für das Nowcasting ist der Blick auf das Wetterradar unerlässlich. Zum einen lassen sich dabei bestimmte Strukturen und Muster in den Radarsignalen erkennen, zum anderen geht es darum, die Stärke und Entwicklung der Gewitteraktivität anhand der sogenannten Reflektivität, also der Stärke des Radarsignals abzuschätzen. So lässt sich aus dem Wetterradar zum Beispiel ableiten, ob es sich bei bestimmten Gewitterzellen um sogenannte Superzellen handelt. Je höher die Reflektivität der Zelle ausfällt, desto mehr oder desto größere Niederschlagspartikel sind in ihr enthalten. Allerdings weiß man allein durch Betrachtung der Reflektivität noch nicht, ob es sich bei dem Signal eher um viel großtropfigen Regen oder eben um Hagel handelt.


BSc.-Met. Lea Wilbert

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.10.2024

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