OSCAR - Ein Hurricane läuft unter dem Radar


Eigentlich versprach das vergangene Wochenende unspektakulär zu verlaufen in Sachen nordatlantischer Tropenstürme. Dies änderte sich abrupt, als Fernerkundungsmessungen via Satelliten einen Gewitterkomplex unter die Lupe nahmen und erst recht, als ein Aufklärungsflugzeug der US-Amerikaner in den kleinen Wirbel flog. Wir sprechen heute über Hurrikan OSCAR, den es laut Wettermodellen nicht hätte geben sollen.

Das National Hurricane Center (NHC), eine Abteilung des Nationalen Wetterdienstes der USA, überwacht den Nordatlantik hinsichtlich der Bildung und Verlagerung von tropischen Stürmen. Am vergangenen Samstag, den 19. Oktober 2024, deuteten zwei "X" auf der Karte auf zwei Regionen hin, die unter Beobachtung standen, weil dort eine erhöhte Gewitteraktivität vorhanden war. Beiden "Systemen" wurde eine geringe bis mittlere Entwicklungschance zu einem tropischen Sturm innerhalb der nächsten zwei Tage gegeben. Nur einige Stunden später wurde kommuniziert, dass im Nordteil der Karibik nicht nur eine tropische Depression oder ein tropischer Sturm, sondern ein Hurrikan aktiv war und in Kürze Land bedrohte. Wie kam es zu dieser rasanten Entwicklung?


Über den Ozeanen stehen uns Meteorologen nur wenige direkte Messungen vor Ort zur Verfügung. Diese stammen von Schiffen oder Bojen. Eine andere Datenquelle sind Satelliten, die die Region zum Teil rund um die Uhr im Blick haben (geostationär) und zum anderen Teil die Erde umkreisen (polarumlaufend) und dementsprechend nur im Abstand mehrerer Stunden für eine bestimmte Region Daten liefern. Ein solcher Überflug eines polarumlaufenden Satelliten sowie die Daten eines geostationären Satelliten unter Tageslicht führten zu einer Neubewertung des Gewitterkomplexes. Anders als bisher angenommen war dies keine unorganisierte Zusammenballung von Schauern und Gewittern, sondern in Kreisen angeordnete Konvektion. Dies war ein starker Hinweis, dass ein geschlossenes Windfeld vorhanden war. Die Daten deuteten nun auf ein Tief in Sturmstärke hin. Aus der geringen Wahrscheinlichkeit wurde also ein tropischer Sturm, OSCAR.

Aufgrund der überraschenden Entwicklung wurde kurzfristig eine Aufklärungsmission durch die NOAA Hurricane Hunters geflogen. Diese fanden aber keinen tropischen Sturm, sondern einen Hurrikan mit einer mittleren Windgeschwindigkeit von knapp 140 km/h vor. Nur wenige Stunden nachdem OSCAR offiziell "geboren wurde", wurde er zum Hurrikan hochgestuft. Diese Entwicklung war aber sehr wahrscheinlich nur in unseren Daten und nicht in der Realität so abrupt. OSCAR war recht sicher schon deutlich vor der offiziellen Hochstufung ein Sturm bzw. Hurrikan.


Zusätzliche Brisanz gewann die plötzliche Hochstufung durch die Nähe zu den Turks- und Caicosinseln nördlich von Haiti und der Dominikanischen Republik. Einen Teil dieser Inseln überquerte OSCAR auf seinem Weg nach Westen bzw. Südwesten und in der Nacht zum Montag erreichte er den Osten Kubas. Von dort soll sich OSCAR, mittlerweile zum tropischen Sturm abgeschwächt, in den kommenden Tagen auf nordöstlicher Zugbahn erneut über Teile der Großen Antillen hinwegbewegen.

Doch wie konnte OSCAR sich fast unbemerkt zum Hurrikan entwickeln? Einer der beiden Hauptgründe wurde schon genannt: die dünne Datenlage für die Region zu diesem Zeitpunkt. Ein anderer Grund war die Größe von OSCAR. OSCAR war ein sehr kleiner Sturm und kleine Stürme sind deutlich schwieriger zu detektieren. Zum Zeitpunkt, als die Hurricane Hunter mit ihrem Flugzeug das Auge OSCARS durchflogen, war es kaum größer als das rekordkleine Auge von Hurrikan WILMA (2005) und hatte das kleinste Auge der diesjährigen Hurrikansaison. Eine Folge der fehlenden Messdaten aus dieser Region war das Fehlen des Sturms in den Wettermodellen. Die Qualität der Simulation von Wettermodellen hängt sehr stark von der Qualität und Quantität der zur Verfügung stehenden Messdaten zum Startpunkt des Modells ab. Die fehlenden Hinweise durch die Wettermodelle waren sehr wahrscheinlich ein Grund für die konservative Einschätzung des Systems durch das NHC.


Dieser Fall zeigt, dass es selbst im Jahr 2024 auf kurzer Zeitskala zu größeren Überraschungen und Abweichungen zwischen der Realität und den Wettermodellen kommen kann, wenn der Ist-Zustand in den Modellen nur unzureichend erfasst wird.

MSc.-Met. Thore Hansen

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.10.2024

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